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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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Philippsruher Allee raus, und Marc ging kurz bei seinem Vater in der Werkstatt vorbei, ohne aber ein Wort über die zerstörte KTM zu verlieren. Danach nahm er sich eine Cola aus dem Kühlschrank, ging in sein abgedunkeltes Zimmer, schaltete seinen Technics-Receiver ein und legte sich aufs Bett. Auf HR 3 lief zunächst Musik, doch dann wurde »Boat on the River« von Styx abrupt ausgeblendet, und eine Moderatorenstimme sagte: »Wie eben aus Bremen gemeldet wird, hat die Polizei die Spur der Geiselgangster verloren. Wir halten Sie über den weiteren Verlauf des Dramas mit Direktschaltungen zu unseren Kollegen vor Ort weiter auf dem Laufenden.«
    Marc schloss die Augen, und sofort sah er wieder die brennende KTM vor sich. Bis sich die Silhouette seines Großvatersdavorschob, der ihn, im Hof stehend, nach einem Blick auf das in Flammen stehende Moped verwirrt angesehen und mit ausgestrecktem Arm gerufen hatte: »Valentin, bring mich nach Hause!«

6
    Westdeutsche Allgemeine Zeitung
    Qualvolle Stunden der Todesangst – Gangster und Geiseln flüchteten am Abend im Schutz der Dunkelheit
    GLADBECK. »Wie wollen die denn da rauskommen, das ist doch eine Mausefalle.« Die mehreren hundert Schaulustigen, die den Verlauf des Geiseldramas in einer Filiale der Deutschen Bank in Gladbeck stundenlang aus sicherer Entfernung mitverfolgten, vertrieben sich die Wartezeit mit Fachsimpeln. Doch alle irrten. Gegen 21.40 stiegen die beiden Gangster mit ihren Geiseln in einen vor der Tür bereitgestellten weißen Audi und rasten davon.

Zuletzt waren ihr die Geräusche in der Nacht wieder aufgefallen, und sie hatte sich vorgenommen, ihnen gleich am nächsten Morgen auf den Grund zu gehen. Einem Rumoren und gedämpften, unregelmäßigen Pochen, das sich angehört hatte, als klopfe in den Wänden ein fiebriger, wegen der anhaltenden Hitze aus dem Takt geratener Puls. Und hatte sie nicht auch ein paarmal geglaubt, ein Husten zu vernehmen?
    Zunächst hatte sie an die in die Jahre gekommenen Wasserleitungen und die Heizungsrohre gedacht und ihr Ohr an die Zimmerwand gelegt, doch bis auf ein fernes Glucksen oder Blubbern nichts Verdächtiges gehört. Dann hatte sie irgendwelche tektonischen Vorgänge dafür verantwortlich zu machen versucht, die womöglich ihr Haus erfassten und ihm ein wiederkehrendes Ächzen entlockten. Denn die Kölner Bucht war bekanntlich Erdbebengebiet.
    Nachdem sie das Telefonat mit ihrem Stiefbruder beendet hatte, machte sich Brigitte also auf die Suche nach der Ursache für die unerklärlichen Geräusche. Sie steckte sich eine John Player an, stieg hinab in den Keller, schaltete das Licht ein und inspizierte die unverputzten, von Spinnweben bedeckten und mit Regalen zugestellten Wände. Darin lagerten in mehreren Koffern ihre Wintersachen, altes Goldschmiedewerkzeug sowie Kleider, Mäntel und Schuhe ihrer Mutter, die sie ihr hinterlassen hatte.
    Vorsichtig schob sie ihr altes Peugeot-Fahrrad beiseite und stieß dabei auf eine aus einem der Regale auf den Boden gefallene Agfa-Fotopapierschachtel. Sie hatte eine Zeitlang ein kleines Fotolabor besessen und ihre Filme selbst entwickelt. In der Schachtel bewahrte sie alte Filme und Fotos von sich und Martinauf. Bilder, die auf gemeinsamen Reisen nach Jugoslawien, in die USA und auf einer mehrwöchigen Englandtour entstanden waren. Mit dem Kasten unter dem Arm lief sie wieder hinauf in die Küche und begann die Fotos vor sich auf dem Tisch auszubreiten.
    Die Bilder ihrer ersten Amerikareise zeigten Martin im kurzärmeligen Hemd auf Cape Cod und am Strand von Coney Island. Andere im Pullover in den Häuserschluchten von Manhattan, wo der Wind ihm die Haare zerwühlte.
    In New York war Frühling gewesen, damals im April 1979. Im Central Park blühten die Kirschbäume und erzeugten ein rosarotes Schäumen, und in Brooklyn, wo sie auf Vermittlung einer Schulfreundin von Brigitte in einer ehemaligen Schreinerei über einer alten Fleischfabrik untergekommen waren, standen vor den Restaurants bereits die Tische auf der Straße. Brigitte sah die Momente, in denen sie damals abwechselnd auf den Auslöser ihrer Kamera gedrückt hatten, mit schmerzhafter Klarheit wieder vor sich.
    Aus der New York Times, die Martin damals jeden Tag gekauft hatte und immerzu wie eine Kostbarkeit mit sich herumtrug, hatten sie von dem Reaktorunfall auf Three Mile Island in Harrisburg erfahren, der sich wenige Tage vor ihrem Eintreffen in New York in Pennsylvania ereignet hatte.
    Das alles hatte auf ihn,

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