Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
Die Darmwand war porös geworden, ließ Keime und Giftstoffe von Krankheitserregern in die Blutbahn durch. Es bestand die Gefahr einer Sepsis, einer Blutvergiftung, und eines Darmdurchbruchs. Der kleine Bauch war vorgewölbt. Die infolge eines Nahrungsstaus geblähten Darmschlingen waren durch die dünne Bauchdecke sichtbar. Die Körpertemperatur war schwankend. Paul war sehr unruhig. Eine Operation war unumgänglich.
***
Nachdem er das Telefonat mit der wegen seiner Absage ziemlich aufgebrachten PR-Chefin der Meyer Werft GmbH beendet hatte, kehrte Peter Ahrens zurück ins angenehm kühle Kellerbüro seiner Borgfelder Wohnung und stellte, während er Radio Bremen Eins hörte, seine Fotoausrüstung zusammen.
Bewundernd hob er die nagelneue F-1, die er sich kürzlichzugelegt hatte, in die Höhe und balancierte sie (wie damals als Zehnjähriger sein neues Matchbox-Auto und später als junger Vater seine neugeborene Tochter) auf dem Handteller.
Wer ihn nicht kannte, konnte Peter Ahrens für einen theatralisch veranlagten Menschen halten. Und vielleicht war er das ja auch bis zu einem gewissen Grad. Doch wenn er in seinen Wagen stieg, um einen Auftrag auszuführen, dann wich alles Theatralische innerhalb von Sekunden der kühlen Präzision eines Jägers, der effektiv und zielgerichtet vorging. Man wurde schließlich kein Perry Kretz, wenn man an der Front Gefühle zeigte.
Ahrens gefiel die Vorstellung, an der Front zu sein, wenn er unterwegs war, fotografierte und sich Schuss für Schuss der Wahrheit des Augenblicks näherte.
Er packte seine Kameras in die Tasche, kontrollierte den Vorrat an Filmen, zählte die Objektive und machte die Tasche zu. Dann nahm er das kleine Transistorradio aus der Schreibtischschublade, stopfte die dazugehörigen Ohrstöpsel in die Hosentasche und schob die Lade wieder zu.
Die kleine Standuhr auf dem Schreibtisch zeigte 14 Uhr 22, und laut Radio Bremen Eins waren die Geiselgangster irgendwo in der Innenstadt unterwegs. In der Diele rief er Reinhard Pander vom Weser-Kurier an, als der Anrufbeantworter ansprang, legte er auf und wählte Jens Lasskis Nummer bei Radio Eins. Von Lasski hörte er, dass die Geiselnehmer zuletzt in Lemwerder gesehen worden waren.
»Die Kollegen vom Fernsehen haben sich an sie drangehängt«, sagte Lasski. »Häng dich an die dran, dann hast du sie. Aber sei vorsichtig. In Gladbeck haben die Typen einfach wahllos in der Gegend rumgeballert.«
»Ich bin doch nicht lebensmüde«, sagte Ahrens.
»Hoffentlich«, erwiderte Lasski. Beide lachten.
Immer wieder hatten ihm die über Jahre aufgebauten Kontakte zu den Reportern weitergeholfen. In diesem speziellen Fallbrauchte er einen Draht zur Polizei. Am besten zur Einsatzleitung.
Er versuchte sich vorzustellen, was Anette dazu sagen würde, wenn sie wüsste, dass er für Freiwald hinter den Geiselgangstern her war. Wahrscheinlich glaubte sie immer noch, er sei nach Papenburg gefahren.
Als er in seinem aufgeheizten Wagen saß, schaltete er, nachdem er die Scheibe heruntergekurbelt hatte, das Radio ein und wechselte von Sender zu Sender. In nahezu sämtlichen Programmen war inzwischen von den Geiselgangstern die Rede, und die Journalisten waren erstaunlich gut informiert. Wahrscheinlich hören die den Polizeifunk ab, dachte er, schaltete den Motor an und legte den ersten Gang ein. Doch Peter Ahrens fuhr nicht los.
Unter der Kühlerhaube rasselten die Ventile. Die hochstehende Sonne drückte auf das Wagendach, und Ahrens glaubte sehen zu können, wie sich das Polster des mit grauem Kunstleder überzogenen Beifahrersitzes wegen der Hitze langsam spannte.
Er musste an seine Tochter Jasmin denken und wie sie am Vorabend mit nach dem Baden feuchten, nach Granatapfelshampoo riechenden Haaren in seinem Arm gelegen hatte, mit ihrem geblümten weißen Bademantel bekleidet, während er ihr aus der »Kleinen Hexe« vorlas. Und wie der bloße Klang seiner Stimme sie schläfrig machte und ihr schon nach ein paar Sätzen die Augen zufielen.
Mit einem kurzen Rucken des Kopfes machte er sich von den inneren Bildern los, gab Gas und ließ die Kupplung kommen. Mit quietschendem Keilriemen rollte der Wagen los. Er würde Jasmin bald weiter aus der »Kleinen Hexe« vorlesen. Sobald das hier vorbei war.
***
Er hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, wie er seinem Vater die Sache mit dem Moped beibringen sollte.
Mit Hilfe seines Freundes Lenny, der auf die Schnelle den Hecklader seines Vaters organisiert hatte, hatten sie die KTM
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