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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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oder besser das, was nach dem Feuer noch von ihr übrig war, weggeschafft. Zwischen Wilhelmsbad und Mittelbuchen hatten sie das Wrack tief im Wald abgeladen, das verkohlte Nummernschild abgeschraubt und die Fahrgestellnummer mit dem Messer weggekratzt, anschließend mit Tannenzweigen, die Lenny mit seinem dicken Schweizermesser abschnitt, alles zugedeckt. Danach fuhr Lenny Marc zurück in die Stadt zum Polizeirevier 1 an der Stadthalle.
    »Sag, sie hätten die Mühle bei dir aus dem Hof rausgeklaut. Aber halt bloß den Mund, wenn sie dich fragen, ob du jemanden im Verdacht hast«, beschwor ihn Lenny mit aufgerissenen Augen.
    Marc nickte. Nicht mal im Traum wäre ihm eingefallen, im Zusammenhang mit dem Verschwinden seiner KTM dem Beamten gegenüber den stadtbekannten Namen Coskun fallenzulassen. Er war ja nicht lebensmüde. Der Beamte interessierte sich nur für seinen Führerschein und die grüne Versicherungskarte.
    Mit einem Schriftstück der Polizei in der Tasche, das Marc den Diebstahl bescheinigte, fuhren sie weiter zum Centro Español Democrático an der Eugen-Kaiser-Straße, wo sie einige Partien Billard spielten und frittierte Tintenfischringe aßen, eiskaltes Colabier tranken und wortlos auf den an der Wand über den Billardtisch hängenden Fernseher starrten.
    Beide Sender, das Erste ebenso wie das ZDF, hatten ihr Programm geändert und berichteten mit ständigen Live-Schaltungen zu wechselnden Reportern pausenlos von dem Geiseldrama. Inzwischen waren die Geiselgangster offenbar in Bremen angekommen, verfolgt von zahllosen Journalisten.
    Carlos, der Wirt, stand mit umgebundener Schürze und Fernbedienung neben dem Billardtisch und schaltete immer wieder zwischen den Kanälen hin und her.
    »Meine Herren, die Typen sind ja echt klasse«, sagte Lenny bewundernd und zog mit den Lippen eine Zigarette aus der aufgeklappten Marlboro-Schachtel. Im Hintergrund lief gedämpft Flamenco-Musik.
    »Das sind gewissenlose Arschlöcher«, sagte Marc und wischte sich den Mund mit der Papierserviette ab.
    Früher hatten sie sich manchmal an den Wochenenden in aller Frühe getroffen, um in den Mainauen oder in Wilhelmsbad Vögel aufzuspüren und mit dem Fernglas zu beobachten, seltene Heckenbraunellen, aus Skandinavien eingewanderte Seidenschwänze oder auf Wildkräutersämlinge spezialisierte Bluthänflinge.
    Besonders angetan hatten es Marc Vögel, die sich durch ihr trickreiches oder ungewöhnliches Verhalten von ihren Artgenossen unterschieden. So zum Beispiel der sogenannte Neuntöter, der erbeutete größere Insekten oder Mäuse schon mal auf den Dornen von Weiß- oder Schwarzdornhecken aufspießte, um sie später, in nahrungsarmen Zeiten, »luftgetrocknet« zu verspeisen.
    Angefangen hatte alles mit den Vogelstimmenplatten, die ihm sein Großvater geschenkt und die Marc über Jahre hinweg immer wieder auf seinem alten Dual-Plattenspieler gehört hatte, bis er problemlos die leise, sich aus verschiedenen gepressten Tönen zusammensetzende Stimme eines Kernbeißers vom klirrend quietschenden Gesang eines Girlitz unterscheiden konnte. Dann waren die ersten Bestimmungsbücher hinzugekommen, und schließlich hatte er an Wochenendexkursionen der Deutschen Ornithologischen Gesellschaft teilgenommen.
    »Jau, Mann. Wie die die Polizei an der Nase rumführen, das ist doch echt stark.«
    »Und die beiden Geiseln? Was ist mit denen?«
    »Ach komm«, sagte Lenny und blies den Rauch in die Luft. »Die tun denen schon nichts.«
    »Also ich möchte nicht in deren Haut stecken!«, erwiderte Marc. »Außerdem sind all diese Journalisten vollkommen rücksichtslos! Die interessiert doch bloß ihre Story! Was mit den Geiseln passiert, ist denen völlig egal! So was nennt man mediale Inszenierung von Gewalt!«
    »Wo haste denn das her?«, sagte Lenny und sah ihn überrascht an.
    »Von so ’nem Typen halt«, sagte Marc. Und dann erzählte er Lenny von seiner Begegnung mit dem ehemaligen Fotografen in der Milchbar. »Der hat damals den sterbenden Benno Ohnesorg fotografiert.«
    »Super, Mann«, sagte Lenny. »Wenn du den morgen triffst, komm ich mit.«
    »Also, ich weiß nicht«, sagte Marc, und dachte: Als ob du wüsstest, wer Benno Ohnesorg gewesen ist! Doch Lenny beharrte auf seinem Vorhaben.
    Nachdem sie bezahlt hatten, stiegen sie in den vor der Tür stehenden Hecklader. Lenny steckte sich erneut eine Marlboro an und legte krachend den ersten Gang ein. Mit aufheulendem Motor fuhren sie Richtung Kesselstadt.
    Lenny ließ ihn auf der

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