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Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)

Titel: Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henning
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reckte, um sich wieder zu erheben.
    ***
    Aus dem Garagendunkel tauchte langsam eine abgerissene Gestalt auf, eine Art hinfälliger Robinson, bärtig und zerlumpt, wie sie ihn aus der Fernsehverfilmung des Defoe-Romans aus den sechziger Jahren in Erinnerung hatte, mit Robert Hoffmann in der Hauptrolle.
    Hoffmanns Stimme hatte sie damals als junges, pubertierendes Mädchen halb um den Verstand gebracht, die schönste, erotischste Männerstimme, die sie je gehört hatte. Einfach unwiderstehlich. Doch mit Hoffmanns ohrenschmeichlerischem Timbre hatte das Knurren, das ihr aus der Tiefe ihrer schummrig kühlen Garage entgegenkam, nicht das Geringste zu tun.
    Vor ihr stand ein heruntergekommener, nach Alkohol stinkender und mit einem verdreckten Gewand und Jesuslatschen bekleideter Typ und blickte sie unter buschigen Brauen an, als sei sie der lang erwartete Erlöser, der ihn nun aus seinem lichtlosen Gefängnis befreien würde.
    »Wer sind Sie? Und was machen Sie in meiner Garage?«, rief Brigitte energisch und trat reflexartig einen Schritt zurück. Wie eine Schlange, die unter ihrem Steinversteck hervorschnellt, tauchte die Gestalt aus dem Halbdunkel hervor, strich sich mitden schmutzigen Fingern der rechten Hand behäbig eine dicke Strähne ihres verfilzten, schulterlangen dunkelbraunen Haars aus der hohen Stirn und sagte: »Tja, also ich hab da bloß mal …« Dabei entblößten seine sich öffnenden rissigen Lippen zwei Reihen verfaulter Zähne.
    Brigitte trat wieder einen Schritt vor und sagte, mit in Richtung Straße ausgestrecktem Arm: »Sie verschwinden auf der Stelle aus meiner Garage! Und Ihren Plunder da nehmen Sie gefälligst mit. Anderenfalls rufe ich die Polizei.« Hinter dem Penner meinte sie neben ihrer Liege ein Meer aus Flaschen zu erkennen.
    Brigitte spürte die Hitze als leichtes Pochen in den Schläfen, wie ein glühendes Schwert hing sie über der Szenerie, schwer und bedrohlich. Zusätzlich meinte sie ein leichtes Zittern in den Kniekehlen zu verspüren. Sie nahm die Sonnenbrille aus dem Haar und setzte sie auf. Sekundenlang hatte sie das Gefühl, wieder mehr Standfestigkeit erlangt zu haben.
    Wie sehr sie es hasste, hier draußen, noch dazu im Bademantel, in der prallen Hitze zu stehen. Inzwischen musste die Quecksilbersäule des Thermometers auf obszöne 36 Grad geklettert sein, und sie verabscheute es, ihren Grundbesitz gegen irgendeinen Obdachlosen verteidigen zu müssen, der sie seit paar Minuten anstarrte, als käme sie vom Mond. Was hätte sie in der letzten Viertelstunde stattdessen nicht alles erledigen können?
    »Also, was ist jetzt?«, rief sie und trat von einem Bein aufs andere.
    »Aber wo soll ich denn hin?«, schallte es zurück. »Bloß noch ein paar Tage, okay? Danke.« Dabei machte der Bärtige Anstalten, die geöffnete Garagentür wieder zuzuziehen.
    »Halt, Freundchen!« Brigitte packte geistesgegenwärtig den Griff und riss die Tür wieder auf. »Raus aus meiner Garage! Sofort!« Mit einer schnellen Bewegung packte sie den seitlich an der Wand lehnenden Spaten und hielt ihn drohend in die Höhe. »Raus, sag ich!«, rief sie noch einmal.
    »Ja, ja«, antwortete der Fremde. Dann war das dumpfe Klingeln gegeneinanderschlagender Weinflaschen zu hören, gefolgt von einem undefinierbaren Schnarren, Rasseln und Scheppern.
    Brigitte spürte, wie ihr Arm unter der Last des in die Höhe gereckten Spatens schwer zu werden begann. »Wird’s bald!«, rief sie, »ich warte!«
    »Ja, ja«, kam es einsilbig und genervt von drinnen.
    Brigitte blickte sich verwundert um und kam sich plötzlich vor wie jemand, der lange fort gewesen war. Die blendend weißen Fassaden der umliegenden Häuser, die davor in der Sonne parkenden Autos und auch alles andere erschienen ihr altvertraut und doch wie neu.
    Nun begann ihr Arm zu zittern, und die Muskulatur in ihrer rechten Schulter, auf der das ganze Gewicht des Spatens ruhte, verhärtete sich. »Zum letzten Mal! Raus jetzt! Hauen Sie ab!«, rief sie und nahm den Spaten widerwillig herunter.
    »Ja, verdammt«, schallte es aus der Garage. Und dann stand er, mit einem mit Flaschen, einem Schlafsack, Plastiktüten und wahllos hineingestopften Schuhen und Klamotten gefüllten Einkaufswagen vor ihr. »Und wo soll ich jetzt hin?«, sagte er und sah sie vorwurfsvoll an. »Sie benutzen die Garage überhaupt nicht. In den letzten Wochen sind Sie nicht ein einziges Mal hier drin gewesen.«
    »Na und? Ob und wann ich meine Garage benutze, ist allein meine Sache«,

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