Ein deutscher Sommer: Roman (German Edition)
ebenfalls mit offenen Türen, der Bus der Linie 53.
In ein paar Minuten ging seine Pause zu Ende, und in nicht mehr ganz zwei Stunden seine Halbspätschicht. Anschließend würde er bei »Dana« vorbeigehen und mit seinen Landsleuten zusammensitzen, eiskaltes Bier trinken und vielleicht, wenn ihn bis dahin der Mut nicht verlassen hatte, Chris, die Taxifahrerin, anrufen.
Adam nahm den zerknitterten Zettel aus seiner Hosentasche, auf den die Taxifahrerin ihre Telefonnummer notiert hatte, strich ihn am Oberschenkel glatt und las die in leicht verzogener Schrift notierte Zahlenfolge: 749 266 … Die 6 war von jeher seine Glückszahl und kam gleich zweimal vor. Das konnte kein Zufall sein.
Mit sechs hatte er auf dem Trümmergrundstück hinter der Lola-Fischel-Schule in Srodula eine Brieftasche aus Leder mit fast 1000 Złoty gefunden, und mit sechzehn hatte er das erste Mal mit einem Mädchen geschlafen. Anschließend war er ein halbes Jahr mit Berta Gross zusammen gewesen, einer wortkargen, blonden und meist seltsam abwesend wirkenden Schönheit, über deren blauen ellipsenförmigen Augen stets ein hauchdünner weißlicher Schleier lag. Bis zuletzt hatte Adam, wenn sie entkleidet auf dem mit Tannennadeln bedeckten Waldboden nebeneinanderlagen, das irritierende Gefühl gehabt, Berta verfolge die Bewegungen seiner über ihr Fleisch wandernden Hände wie durch ein umgedrehtes Fernglas. Im Grunde schien ihr das alles fremd zu sein, und sie ließ es willenlos geschehen.
Lächelnd beförderte er den Zettel in das schützende Dunkel seiner Tasche zurück und drückte von außen mit der flachen Hand dagegen. Die eben noch beieinanderstehenden Kollegen waren bis auf Brinkmann und Henschke, der süchtig an seiner bereits bis zum Filter runtergebrannten Kippe zog, in Richtung ihrer Busse verschwunden.
Adam blickte ihnen nach und sah, dass sich vor die tiefstehende, eben noch ungehindert strahlende Sonne in der Ferne eingraues Wolkengebilde schob. Mit ein bisschen Glück würden mehr Wolken aufziehen und in der Nacht die sehnlichst erhoffte Abkühlung bringen. Vor den Geschäften standen mit Wasser gefüllte Schalen für die Hunde und schattenspendende Sonnenschirme für die Alten. Unter den städtischen Springbrunnen drängten sich Scharen Abkühlung Suchender, und die Eisverkäufer verzeichneten seit Tagen Rekordumsätze. Jugendliche liefen mit surrenden batteriebetriebenen Miniventilatoren vorm Gesicht durch die Gegend, und immer wieder sah und hörte man Notarztwagen, die Hitzschlagopfer abtransportierten.
Auf dem Weg zur Arbeit hatte Adam gesehen, wie sich zwei alte Männer, die sich ihrer Hemden, Schuhe und Socken entledigt hatten, an einem Steinbrunnen gegenseitig Wasser auf die schweißglänzenden, ausgezehrten Oberkörper gespritzt und dabei vor Freude gejauchzt hatten. Und im Bus hatte sich eine junge, auf der hintersten Bank sitzende Frau, die in Bremen-Mitte als einziger Fahrgast zugestiegen war, plötzlich ungeniert ihre Bluse ausgezogen und mit geschlossenen Augen ihr gerötetes Gesicht und ihre nackten Brüste in dem brausend durchs gekippte Seitenfenster hereindringenden Luftstrom gekühlt. Irritiert und bewundernd zugleich hatte Adam sie so lange im Rückspiegel beobachtet, bis sie sich kurz vor Erreichen der Endhaltestelle Huckelriede die helle Bluse lässig wieder übergezogen hatte und ausgestiegen war.
Adam stieg in den Bus, zog wegen der tiefstehenden Sonne die transparentgrüne Blende noch ein Stück weiter herunter und nahm auf seinem Fahrersitz Platz. Im selben Moment stieg eine Frau zu und half ihrem Mann, einen Kinderwagen in den Wagen zu hieven.
Er war Martha von Berlin nach Bremen gefolgt und hatte sich ganz auf sie eingelassen: auf ihre Vorstellungen von einer gemeinsamen Zukunft, auf ihre Art zu leben, hatte er nie etwas von ihr gefordert und ihr alles geschenkt: seine Aufmerksamkeit,seine Zeit und seine Liebe. Trotzdem hatte sie ihn verlassen, weil er angeblich zeugungsunfähig war. Doch war er deswegen etwa kein Mann? Er war jung und im Vollbesitz seiner Kräfte. Außerdem war er ein Überlebenskünstler. Genau wie sein Vater Wladek, der als junger Mann ein Grubenunglück im Bergwerk »Wujek- Ś l a ¸ sk« in Ruda Ś l a¸ ska bei Katowice zwei Motorradunfälle und eine Stichverletzung überlebt hatte.
Am Morgen hatte er sich wertlos und zerschlagen gefühlt und geglaubt, sein Leben sei zu Ende. Doch das Herz war ein Stehaufmännchen, und Adam spürte, wie es seine geschundenen Glieder
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