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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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drei verschiedene Laute. Der eine ist ein ganz tiefes »Hau, hau, hau« und bedeutet: »Ich hab ihn.Komm schnell her!« Der andere ist »Jiff, jiff, jiff«, ein sehr heller Ton, das heißt: »Ich bin noch am Jagen, aber ich bin ihm ziemlich dicht auf den Fersen.« Und wenn sie eine sehr frische Fährte aufnimmt, gibt sie manchmal einen sehr hohen Bellton von sich, der sagt: »Ich kann das Wildschwein nicht sehen, aber es ist direkt vor mir. Die Fährte ist noch warm, vor zwei bis drei Minuten ist es hier vor mir lang.« – Diese Sprache muss man verstehen. Das ist halt Cleo.
    Die Katze blieb verschwunden, Cleo kam zu mir zurück, und wir gingen in den Kuhstall, der dummerweise zu dem Hof gehörte, auf dem ich Quartier nehmen wollte. Schließlich stand auf einem Schild groß »Zimmervermietung«. Die Bäuerin war durch Cleos Aktion richtig verärgert, obwohl eigentlich nichts passiert war, außer dass sie einen Riesenschreck gekriegt hat und ihre Kühe an diesem Tag vielleicht einen Liter weniger Milch gaben. Doch durch den Streit um die Milchpreise, der zu der Zeit gerade in der EU tobte, lagen die Nerven der Milchbauern ziemlich blank. Jedenfalls weigerte sie sich, uns ein Zimmer zu vermieten. Das war unsere Ankunft in Mödlareuth.
     
    Mödlareuth ist ein kleiner Ort an der bayerisch-thüringischen Grenze mit einer Besonderheit: Nicht nur die Staatsgrenze zwischen Bayern und Thüringen verläuft mitten durch den Ort, so tat es auch die ehemalige innerdeutsche Grenze! Kann man sich solchen Unsinn vorstellen? Jedenfalls nannte man Mödlareuth deshalb auch »Little Berlin«.
    Die Ursache für diesen absurden Grenzverlauf liegt gut vierhundert Jahre zurück. Im 16.Jahrhundert wurde der Tannbach, der durch den Ort fließt, als Grenze zwischen der Markgrafschaft Bayreuth und der Grafschaft Reuß-Schleiz festgelegt. 1810 dann wurden Grenzsteine gesetzt mit den Initialen KB für Königreich Bayern auf der westlichen und FR für Fürstentum Reuß auf der östlichen Seite, die noch heute die Zugehörigkeit Mödlareuths zu verschiedenen Landesherren dokumentieren. Nach dem Ersten Weltkrieg ging der Westteil Mödlareuths in den neu gegründeten Freistaat Bayern, der Ostteil in das Land Thüringen über. Der Tannbach war jedoch reine Verwaltungsgrenze und beeinträchtigte das Alltagsleben kaum. Man besuchte dasselbe Wirtshaus und dieselbe Schule, und zur Kirche ging man gemeinsam ins bayerische Töpen.
    Nach Ende des Zweiten Weltkriegs verliefen die Demarkationslinien der vier Besatzungszonen gemäß der »Londoner Protokolle« der Alliierten von 1944 weitgehend entlang der alten Landesgrenzen des Deutschen Reiches von 1937. Das hatte für Mödlareuth schwerwiegende Auswirkungen, denn nun teilte der Tannbach den Ort in Mödlareuth-Ost in der sowjetischen und in Mödlareuth-West in der amerikanischen Besatzungszone. Fast fünfzig Jahre lang gehörte ein und derselbe Ort nun verschiedenen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Systemen an. Zunächst konnte man noch mit einem Passierschein über die innerörtliche Grenze, doch dann wurde 1952 auf DDR -Seite ein übermannshoher Bretterzaun errichtet – der 1958 durch Stacheldraht, den sogenannten Metallstreckzaun, ersetzt wurde; die Mauer, die, wie etwa in Berlin, den Stacheldraht ersetzte, kam erst 1966 –, und da es keinen Checkpoint gab, waren die Ortsteile nun völlig voneinander abgeschnitten. Ganze Familien wurden zerrissen; plötzlich konnte man den Bruder, die Eltern oder die Verlobte nicht mehr besuchen, sich nicht mehr mit Freunden auf ein Glas Bier treffen. Selbst sich über die Grenze hinweg zu grüßen war verboten.
    Heute wirkt Mödlareuth wie ein Freilichtmuseum, als wäre die Zeit hier stehen geblieben: Teile der Mauer stehen noch, der Metallstreckzaun, die Wachtürme, die Hundelaufanlagen, wo Schäferhunde an Laufleinen Tag und Nacht Wache hielten, die Bunkeranlagen. Schilder mit Aufschriften wie »Grenzgebiet Sperrzone! Betreten und befahren nur mit Sondergenehmigung gestattet!«. Und obwohl »Little Berlin« ziemlich viele Touristen anzieht, ist es eigentlich ein recht verschlafener Ort.
    Auf meiner weiteren Wanderung stieß ich – vom Kolonnenweg mal abgesehen – vergleichsweise selten auf Relikte der Grenze und wenn, dann waren sie oft »zweckentfremdet«: zu einem Restaurant oder einer Ferienwohnung umgebaut. Ich habe die Menschen oft gefragt, warum das so ist. Dann bekam ich Antworten wie: »Wir sind heilfroh, dass dieser Mist abgebaut ist.

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