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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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Vierzig Jahre haben wir auf diese blöde Mauer und diese Metallstreckzäune geschaut. Das reicht!« Erstaunt hat mich dabei immer, dass die Leute zwar negativ über die Grenze redeten, aber nur selten verbittert waren.
    Bevor ich mich in Mödlareuth auf den nächsten Bauernhof wagte, um dort um ein Glas Milch zu bitten, nahm ich Cleo lieber an die Leine – völlig unnötig, denn weder eine Katze noch ein anderes jagdbares Tier lief uns über den Weg. Während Bäuerin Karin – eine typische Milchbäuerin, nur ohne Gummistiefel, ein bisschen rustikal und sehr freundlich – für mich ein Glas und für Cleo eine Schale mit Milch füllte, erzählte sie stolz, dass ihr Hof schon mehrmals von einer Molkerei ausgezeichnet worden ist, weil ihre Kühe die meiste Milch gaben. Dann unterhielten wir uns über Mödlareuths Geschichte, seine bizarre Grenzziehung und wie schwer es nach der Wende war, an das einstmals enteignete Land zu kommen. Ihr Sohn hat es geschafft und in Thüringen einen Betrieb zurückerworben, der der Familie nach dem Mauerbau genommen wordenwar. Karins Mann mochte nicht viel zu dem Gespräch beitragen, er war, wie viele im Ort, ziemlich genervt von all den Journalisten und Kamerateams, die zum 20.Jubiläum des Mauerfalls scharenweise in Mödlareuth einfielen. Nicht einmal als ich erzählte, dass ich in der Eifel selbst eine Landwirtschaft habe, brach das Eis. Normalerweise werden die Menschen in ländlichen Gegenden, die in der Regel viel verschlossener sind als Städter, recht zugänglich, wenn sie hören, dass ich einen Hof habe oder dass ich Jäger und Förster bin. Hoppla, denken sie dann wohl, das ist einer von uns, der kennt unser Leben, versteht unsere Probleme.
    In diesem Fall half es jedenfalls nichts – zumindest bei dem Bauern; der blieb einsilbig. Dafür schimpfte Karin nun lautstark über die niedrigen Milchpreise. Die Milchpreise haben sich in der Tat halbiert, dafür ist aber die Milchleistung der Kühe in den letzten zwanzig Jahren im Durchschnitt um etwa 50 Prozent gestiegen. Das wiederum führt zu einer Überproduktion, die auf die Preise drückt. Das ist das wirkliche Problem der Bauern. Darüber wollen sie reden, und nicht über Natur, das Grüne Band oder das Zusammenwachsen von Ost und West. Da heißt es höchstens: »Was für ein Zusammenwachsen? Es gab hier nie ein Auseinanderleben.« Natürlich haben sie sich gefreut, als die Mauer fiel und das Dorf wieder vereint war. Ein bisschen ärgern sie sich zwar darüber, dass Reste der Grenzbefestigung noch stehen, sind aber irgendwie auch stolz darauf, das »Kleine Berlin« zu sein.
    Für mich persönlich war der Aufenthalt in Mödlareuth recht bedrückend, weil ich ständig versuchte mir vorzustellen, wie es wäre, wenn plötzlich eine Mauer direkt durch mein Dorf in der Eifel gezogen würde und Erik und Thore nicht mehr einfach zu ihren Großeltern oder ihrenFreunden rüberlaufen könnten. Für Birgit, die einen sehr engen Kontakt zu ihrer Familie hat, wäre es wohl noch schlimmer.
Die innerdeutsche Grenze
    Bei einigen Fakten über die innerdeutsche Grenze denkt man unweigerlich: Das kann nicht sein! Ein Kilometer Grenze soll eine Million DDR -Mark gekostet haben. Tagtäglich versahen auf DDR -Seite 30000 Soldaten Dienst an der Grenze; daneben gab es 3000 »freiwillige Helfer der Grenztruppen«. Die Zentrale Erfassungsstelle Salzgitter zählte insgesamt 872 Todesopfer an der Grenze.
    Es gab immer wieder Tüftler, die versuchten, ein System zu entwickeln, um die spezielle Art von Zaun, wie er an der innerdeutschen Grenze verwendet worden war, den Metallstreckzaun, zu überwinden. Jeder Versuch, sich den Zaun mit bloßen Händen – oder selbst mit festen Handschuhen – und Füßen hochzuarbeiten, ist zum Scheitern verurteilt, weil man sich innerhalb kürzester Zeit die Hände blutig reißt. Man hat nur eine Chance, wenn man Steigeisen an Füßen und Händen befestigt; dann besteht jedoch die Gefahr, dass man sich in den Maschen hoffnungslos verhakt. Als alter Bergsteiger und Bäumekletterer weiß ich, wovon ich rede. Über die Herkunft des Metallstreckzauns gab es ganz skurrile Geschichten. Es wurde gemunkelt, dass er im Westen gefertigt worden wäre, weil die DDR gar nicht genug Stahl gehabt hätte. Andere Zungen behaupteten, der Zaun konnte nur aus Schweden stammen, denn nur Schweden hätte so guten Stahl.
    Vor dem Metallstreckzaun waren aber erst noch etliche andere Hindernisse zu überwinden. Das begann – von DDR -Seite aus

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