Ein deutscher Wandersommer
Angeben, sondern weil es ihnen bei uns einfach gefiel. Für Pauli und seine Schwestern war Thüringen ein riesiger Abenteuerspielplatz, und Tante Anni freute sich immer besonders auf unsere Marmelade. Die ganze Familie hatte ihren Spaß und genoss den Urlaub bei uns.
Zwei Mal im Jahr ging das große Raunen durch unser Viertel: »Leute, im Gemüseladen gibt es Bananen«, und bis man sich ein bisschen Geld geschnappt hatte und zum Laden gelaufen war, war die Schlange schon zig Meter lang. Für jeden – ob Kind oder Erwachsenen – gab es drei »Südfrüchte«, weshalb sich nach Möglichkeit die ganze Familie anstellte.
Die Grundnahrungsmittel wie etwa Nudeln waren jedoch immer sichergestellt, Gemüse und Obst bedingt. Äpfel, Möhren, Zwiebeln und so weiter waren jederzeit zu kaufen, ebenso Kartoffeln, obwohl die manchmal ein bisschen matschig waren. Oft gab es Kohl – wir mussten unendlich viel Kohl essen – und Schwarzwurzeln. Spargel oder Zucchini hingegen haben wir nie zu Gesicht bekommen. Es gab immer genug Milch, in der Schule gar gratis. Und es gab Babynahrung – Milchpulver. Wer das nicht wollte oder sich nicht leisten konnte, konnte sich auf der Kinderstation eines Krankenhauses Muttermilch für sein Kind abholen. Dafür wurde ganz bewusst gesorgt, denn man brauchte die jungen Mütter als Arbeitskraft. Die DDR war ja eine sehr junge Gesellschaft.
Wir Kinder sind natürlich wie die Kinder im Westen auch Kirschen klauen gegangen oder haben uns über Erdbeerfelder der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften, kurz LPG s, hergemacht. Wir hatten nie das Gefühl, dass es uns schlecht ging. Allerdings weiß ich noch genau, wie ich mit acht oder neun Jahren mein erstes Marsgegessen habe und dachte, wow, was ist das für ein Geschmack! Dazu muss man wissen, dass es bis zu meiner Flucht 1976 der DDR wirtschaftlich noch einigermaßen gut ging, die richtigen Mangeljahre kamen erst Jahre danach. Als ich später mit Birgit in die DDR reiste, war ich schockiert, wie wenig es in den Läden zu kaufen gab. In einem Metzgergeschäft in Jena lagen nur zwei oder drei Würste, und an einem von vielen großen Haken hing ein Stück Bauchspeck. Fast wie in dem DDR -Witz: Warum muss in einem Metzgerladen wenigstens eine Wurst am Haken hängen? – Damit man nicht denkt, man sei im Fliesenfachgeschäft. Zu meiner Zeit waren die Wurstwaren zwar minderwertig und fett – aber es gab zumindest welche.
Der Sozialismus war für viele abstoßend, auch weil Zwang dahinterstand. Man musste zu Veranstaltungen gehen und an Versammlungen teilnehmen, man musste die deutsch-sowjetische Freundschaft zelebrieren. Aber ich muss sagen, dass ich es nicht ganz ungern gemacht habe. Ich war ein großer Sportler und bin gern gegen Gleichaltrige aus Russland beim Rennradfahren angetreten oder habe gegen Tschechen geboxt. Auch Leichtathletik habe ich eine Zeit lang gemacht. Sport hatte in der DDR einen besonderen Stellenwert, und wir Kinder und Jugendlichen hatten viele Idole aus dem Radsport oder dem Boxen – nicht irgendwelche Parteileute oder Wissenschaftler. Da unterschieden wir uns nicht von Gleichaltrigen im Westen. Als Sportler konnte man sich messen, berühmt werden und in alle Welt reisen. Und man munkelte, dass gute Sportler sogar eine Neubauwohnung und ein Auto mit Garage vom Staat bekämen.
Man wuchs als Kind in dieses Land hinein, und man lebt ja so, wie man groß geworden ist, fühlt sich mit seiner Heimat verbunden. So war auch bei meinen Eltern, die in der DDR aufgewachsen waren, eine gewisse Akzeptanz dieses Systems vorhanden. Aus der Sicht des Bundesbürgers ist es natürlich überhaupt nicht verständlich, dass junge Leute, die intelligent waren und studiert hatten, im Sozialismus keine schlechte Gesellschaftsform sahen. Man muss das aber aus der Sicht des DDR -Bürgers sehen.
Prof. Dr. Bernhard Grzimek und Prof. Dathe
Als ich klein war, waren meine Lieblingssendungen im Fernsehen zum einen »Ein Platz für Tiere« mit Professor Dr. Bernhard Grzimek – »Guten Abend, meine lieben Freunde«. Offiziell durften wir das gar nicht sehen, denn es war Westfernsehen, aber jeder hatte irgendwo eine Antenne versteckt. Das Problem war, dass man damit nur die ARD empfangen konnte, für das ZDF brauchte man ein Zusatzgerät, das für viel Geld gehandelt wurde. Zum anderen waren es im DDR -Fernsehen die Sendungen von Professor Heinrich Dathe, Mitbegründer und Direktor des Tierparks Berlin und der »Grzimek des Ostens«. Er durfte
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