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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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»Wenn der Iwan kam, sind wir in unsere Häuser geflüchtet und haben die Türen verschlossen.« Oder: »Wenn der Iwan besoffen war, war es besonders schlimm.«
    Schon als kleines Kind mochte ich große Maschinen: Bagger, Feuerwehrautos … In der Straße meiner Großmutter, die nicht aus billigem Teer, sondern aus Granitsteinen bestand und Heerstraße hieß, kamen manchmal Hunderte von Panzern vorbei, die von der Gothaer Kaserne zum Bahnhof fuhren, wo sie auf große Güterwagen verladen und zum Truppenübungsplatz gebracht wurden. Die Nachbarin rief dann: »Andi, de Banzer kommn!« Dann rannten wir, als Sieben-, Achtjährige, mit unseren kleinen, selbst gebauten Holzgewehren wie vom Blitz geölt auf die Straße. Der ganze Boden vibrierte, wenn der T 54, der russische Kampfpanzer, an uns vorbeirollte, alles wackelte, sogar die Häuser. Einmal hielt einer der Panzer an, die Luke öffnetesich, und Wolodja streckte seinen Kopf heraus. »Andrej, idi sjuda!« – »Andreas, komm her!« –, rief er und winkte mich zu sich. Ich als kleiner Pimpf durfte nun vor allen meinen Freunden in diesen riesigen Panzer hinein und mitfahren! Was das bedeutete, kann wohl nur ein kleiner Junge richtig nachvollziehen.
    Überhaupt war Wolodja sehr nett zu mir, und ich mochte ihn richtig gern. Natürlich hat mich das alles etwas geprägt, und ich habe in den Russen nie den Feind gesehen. Leider hielt diese unbeschwerte Zeit nicht lange an, denn Wolodja war zu schön, um nur eine Freundin zu haben, und so kam es unweigerlich zum Bruch zwischen ihm und meiner Mutter.
    Apropos Prägung: Mit elf wurde ich Thälmannpionier und mit 13 schließlich FDJ ler ( FDJ stand für Freie Deutsche Jugend), ganz feierlich mit Vereidigung. Das mag sich für den einen oder anderen nach nationalsozialistischen Strukturen und Hitlerjugend anhören, und da hat es sicherlich gewisse Parallelen gegeben. Es war eine Möglichkeit, junge Menschen zu binden und zu begeistern, natürlich auch zu kanalisieren und zu manipulieren. Als junger Mensch ist man ja für vieles empfänglich. Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Vereidigung, die fand nämlich, was viele verwundern wird, im KZ Buchenwald statt. Unserem Klassenlehrer, Friedrich Metze, der mit uns nach Buchenwald fuhr, standen an dem Platz, an dem der Arbeiterführer Ernst Thälmann erschossen worden war, Tränen in den Augen. Er war ein »gläubiger Kommunist«. Und weil Friedrich Metze in seiner Art sehr ehrlich und aufrichtig und einfach ein guter Kerl war, haben wir in gewisser Weise seine politische Überzeugung angenommen. Bei mir kam noch dazu, dass er extrem naturbegeistert war und mein Interesse an der Natur gefördert hat.
    Aus all solchen Dingen erwuchs der gelernte DDR -Bürger oder – wie es hieß – der »sozialistische Mensch«. Das muss man wissen, wenn man aus der BRD kommt, wo man mit Augsburger Puppenkiste, »Sesamstraße« und »Beatclub« groß geworden ist, in denen es um ganz andere Dinge ging.
    Wir wussten natürlich von der anderen Welt, die es da drüben im Westen gab, der Welt, in der Milch und Honig flossen, wo es Schallplatten von den Rolling Stones, den Beatles und Deep Purple gab. Wir bekamen ja auch Besuch aus dem Westen. Der roch anders – nach Persil oder Weißer Riese statt Milwa oder Fewa –, sprach anders, trug schicke Sachen, besaß später sogar ein Auto, das offenbar vor jeder Fahrt in den Osten auf Hochglanz poliert wurde. Damals durchschauten wir nicht, dass sich die Besucher immer besonders aufbrezelten und einen auf West-Macker machten, und freuten uns über die Geschenke, die sie mitbrachten: Dinge, die man in der DDR nur auf dem Schwarzmarkt kriegen konnte, zum Beispiel eine Levis- oder Wrangler-Jeans. Dort kosteten sie allerdings 600 bis 800 Ostmark, so viel, wie meine Mutter im ganzen Monat verdiente – als Vermessungsingenieurin! Unsere Hosen waren aus Dederon (abgeleitet von DDR ), Malimo oder Spezitex – allesamt Kunstfasern und Erfindungen der DDR -Industrie. Wir sahen in diesen Hosen recht komisch aus, aber weil alle komisch aussahen, hat es niemanden gestört.
    Eine Ausnahme unter den Westbesuchern war Tante Anni aus Landshut mit ihren Kindern Pauli, Marianne, Gabi und Rosemarie. Sie wären nie auf den Gedanken gekommen, sich für ihren Besuch bei uns herauszuputzen. Tante Anni und die Mädchen trugen schlichte Dirndln, Pauli derbe Lederhosen und karierte Hemden – also die damals durchaus noch übliche Alltagskleidung in Bayern.Sie kamen nicht zum

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