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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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vier Einfallschneisen, wo der Westen eine Invasion der Truppen des Warschauer Pakts für am wahrscheinlichsten hielt: Für ihre gewaltige Panzerarmee hätten die Sowjettruppen ein riesiges Aufmarschgebiet, einen breiten Korridor gebraucht, denn bei einemVormarsch durch kleine Täler und auf schmalen Bergstraßen hätte ein Panzer nach dem anderen außer Gefecht gesetzt werden können. Die »Fulda Gap« war dabei von besonderer strategischer Bedeutung, denn hier ragte der Ostblock am weitesten in den Westen hinein und hätte innerhalb von zwei Tagen bis zur Rhein-Main Air Base vorstoßen können, die zeitweise der wichtigste Standort der US -Luftwaffe in ganz Europa und daher höchstwahrscheinlich vorrangiges Angriffsziel war. Wer das Frankfurter Becken kontrollierte, hätte den Krieg schon halb gewonnen gehabt. Der Hamburger Hafen, Hannover oder München waren dagegen strategisch unwichtig.
    So errichtete das amerikanische Militär am »Point Alpha« Wachtürme, patrouillierte entlang der »Fulda Gap« und überwachte den Funkverkehr. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs taten die Sowjettruppen natürlich dasselbe, und so standen sich am »Point Alpha« die waffenstarrenden Systeme der NATO und des Warschauer Pakts im wahrsten Sinn des Wortes Auge in Auge gegenüber – die Grenzposten nicht einmal hundert Meter Luftlinie voneinander entfernt. Heute ist »Point Alpha« eine Mahn-, Gedenk- und Begegnungsstätte.
    Als Cleo und ich zum »Point Alpha« kamen, lauschten knapp zwanzig Bundeswehrsoldaten, schön ordentlich aufgestellt, gerade einem Vortrag, wie eine Invasion hätte vonstattengehen können, welche Verteidigungsstrategien es gab und so weiter. Weil ich gute Laune hatte und die Sonne ausnahmsweise mal schien, stellten Cleo und ich uns einfach neben den Rekruten in der ersten Reihe.
    Fragte mich doch der Hauptmann, der den Vortrag hielt, glatt: »Hat er auch gedient?« Das klingt ja wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten, dachte ich mir und konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
    »Selbstverständlich. Drei Jahre. Marine, davor Fallschirmjäger«, konterte ich, während ich zum Spaß Haltung annahm. Die Jungs neben mir hielten zwar, wie ich aus dem Augenwinkel wahrnahm, brav den Blick geradeaus, aber den ein oder anderen hörte ich glucksen.
    »Na ja, die Haare sind ein bisschen lang geworden. Und ein komischer Hund ist das auch«, meinte er daraufhin, bevor er seine Ausführungen wieder aufnahm.
    Cleo und ich blieben noch ein Weilchen und hörten aufmerksam zu. Sehr zu meinem Erstaunen hörte man aus beinahe jedem Satz Angst vor den Russen und dem Kommunismus heraus, obwohl doch die Zeiten längst vorbei waren.
    Anschließend gingen Cleo und ich die beeindruckende Grenzanlage ab, die Türme, den Metallstreckzaun, die Selbstschussanlagen, einen Grenzbalken mit dem Warnschild » CTO « (»Stoi«=»Stopp«), die Hundelaufleinen. Bei dem Pappmachéhund, der an einer der Laufleinen hing, ist den Betreibern der Gedenkstätte allerdings ein peinlicher Fehler unterlaufen: Er sollte einen DDR -Schäferhund darstellen, hatte aber den abfallenden Rücken seines westdeutschen Artgenossen. Mit der Teilung der deutschen Staaten hatten sich nämlich die Zuchtlinien auseinanderentwickelt; während man im Westen weiterhin Wert auf einen abfallenden Rücken als Schönheitsideal legte, standen im Osten die typischen Eigenschaften eines Diensthundes im Vordergrund. Einen abfallenden Rücken sah man bei DDR -Schäferhunden erst ab den späten 80er-Jahren, und selbst dann nur in abgeschwächter Form.
    »Cleo, kannst du dir das vorstellen?«, gab ich weiter, was ich auf einer der Informationstafeln las. »20000 Hunde haben an der Grenze Dienst tun müssen. Waren nur in der Hütte und an diesen Laufleinen.«
    Ich erinnerte mich, dass es nach der Wende, als man die Grenzhunde loswerden wollte, einen Aufruf vom Tierschutzverein gab, sich doch dieser armen Tiere zu erbarmen und sich eines nach Hause zu holen. Jetzt, wo ich mir eine Vorstellung davon machen konnte, was sie für ein fürchterliches Leben gehabt hatten, hielt ich es für keine gute Idee, diese mit Sicherheit wachsamen, aber bestimmt auch extrem gestörten Hunde Privathaushalten anzudienen.
    Hier, am »Point Alpha«, tauchten vor meinem inneren Auge noch ganz andere Bilder auf. AWACS Aufklärungsflugzeuge mit ihren riesigen Radarschirmen, die zu uns in den Osten rüberguckten, um zu sehen: Tut sich da was? Halten die nur ein Manöver ab, oder machen die mobil? Bei den

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