Ein deutscher Wandersommer
kleineren, teilweise mit Moos und Flechten bewachsenen Felsen perfekt getarnt war. Und als ich nach der einen griff, streifte ich die andere. Die wollte aber offenbar einfach nur ihre Ruhe haben und schlängelte sich ohne weitere Reaktion davon. Da hatte ich unglaubliches Glück gehabt.
Nachdem ich mich von meinem Schreck erholt hatte, schaute ich mir die gefangene Kreuzotter genauer an. Sie hatte sich offensichtlich erst vor Kurzem gehäutet, weshalb ihre Farben so intensiv waren. Sie war wunderschön! Seltsamerweise machte sie keine Anstalten, sich mir zu entwinden oder mich zu beißen, sondern ließ sich in aller Ruhe von allen Seiten betrachten. Schließlich setzte ich das Tier behutsam an seinen Platz zurück, und im nächsten Moment war es verschwunden.
Cleo hatte ich vor dieser Aktion übrigens in sicherer Distanz sich ablegen lassen.
In luftigen Höhen
Was ich bislang von der Rhön gesehen hatte, gefiel mir so gut, dass ich sie nun unbedingt noch von der Luft aus sehen wollte, und so machte ich mich auf den Weg zur Wasserkuppe, dem mit 950 Metern höchsten Berg der Rhön und Heimat der ältesten Segelflugschule der Welt.
Um es kurz zu fassen: Bei herrlichem Wetter hatte ich einen phantastischen Blick auf die wunderschöne Landschaft unter mir. Allein dieses Erlebnis war den Ausflug zur Wasserkuppe wert. Der Segelflieger, der mich auf den Rundflug mitnahm, steuerte während des Flugs aber auch ein Kapitel zu meiner Sammlung kurioser Grenzgeschichten bei.
Als der Pilot als junger Mann seine Fluglizenz für einen Motorsegler machte, war sein Fluglehrer ein bisschen betrunken und dazu das Wetter nicht besonders gut. GPS gab es damals noch nicht, und so musste er mehr oder weniger auf Sicht fliegen. Natürlich hatten sie Karten mit, um ihren Standort abgleichen zu können. So flogen sie also eine Weile dahin, das da unten ist Kassel, das da drüben muss die Wilhelmshöhe sein … Auf einmal fiel ihnen auf, dass alles so komisch aussah: Die Felder waren größer, die Dörfer verfallen. Da war ihnen klar, dass sie vom Kurs abgekommen sein mussten und nun im Luftraum der DDR unterwegs waren. Ach, du Sch…, kehrt, marsch, marsch und nichts wie zurück in den Westen.
Zu dem Zeitpunkt war die Maschine längst vom Radar des DDR -Militärs erfasst. Plötzlich hörten sie ein Dröhnen hinter sich, im nächsten Moment flog ein riesiger russischer Kampfhubschrauber an ihnen vorbei und setzte sich direkt vor sie. Das kleine Flugzeug wurde in den Luftturbulenzen, die die gewaltigen Rotorblätter erzeugten, so heftig durchgeschüttelt, dass es kaum mehr zu halten war. Dann setzte sich der Pilot des Kampfhubschraubers neben sie, und zwar so dicht, dass sie sein Handzeichen, mit denen er ihnen eine Landung signalisierte, erkennen konnten. Dem Kampfhubschrauber zu entkommen war aussichtslos, also ergaben sie sich in ihr Schicksal. Nach der Notlandung auf irgendeinem Acker sprangen Soldaten aus dem Hubschrauber, rissen ihre Maschinenpistolen hoch und schrien »Hände hoch!«. Kurz darauf wurden die beiden in einen Militärwagen verfrachtet und nach Berlin gebracht.
Für die DDR -Behörden war klar: Die beiden waren illegal in den Luftraum der DDR eingedrungen und hattenihn dann wieder verlassen wollen; das konnten nur Spione sein. Zwei Wochen lang wurden die beiden verhört, das sichergestellte Flugzeug auf der Suche nach belastendem Material bis in seine Einzelteile zerlegt. Gefunden wurde natürlich nichts, denn die beiden waren einfach nur Sportpiloten, die vom Kurs abgekommen waren. Nicht einmal einen Fotoapparat hatten sie dabei gehabt. Schließlich schaltete sich das Ministerium für innerdeutsche Angelegenheiten ein und kaufte die zwei Unglücksraben frei. Seither, so erzählte mir der Mann, nennen sie ihn hier nur Quax den Bruchpiloten.
»Äh«, fragte ich im Scherz, »wie weit sind wir hier von der Grenze weg?«
»Die Zeiten sind zum Glück vorbei«, lachte er.
»Point Alpha«
Bei einer Wanderung entlang dem Grünen Band wird man unweigerlich immer wieder mit Geschichte und Politik konfrontiert.
Eine wichtige Station auf meinem Weg war der »Observation Post Point Alpha«. »Point Alpha« war der erste von vier an der innerdeutschen Grenze errichteten US -Beobachtungsstützpunkten und neben »Checkpoint Charly« in Berlin einer der wichtigsten Grenzabschnitte überhaupt. »Point Alpha« lag im Zentrum der NATO -Verteidigungslinie »Fulda Gap« (Fuldaer Lücke) zwischen Herleshausen und Bad Neustadt, einer der
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