Ein deutscher Wandersommer
kaufte beim Wirt des thüringischen Nachbarorts fünf Flaschen Bier sowie eine Flasche Schnaps und machte sich auf den Rückweg. Wahrscheinlich wäre alles gut gegangen, wenn ihn nicht der Wirt »von drüben« verpfiffen hätte.
Zurück am Zaun, hörte Schorsch hinter sich plötzlich ein »Hände hoch! Stehen bleiben!« und einen Schuss. Die nächsten zwei Jahre verbrachte er in einem DDR -Gefängnis. Man wollte ein Exempel an ihm statuieren, den Leuten klarmachen, dass man es ernst meinte mit dem antifaschistischen Schutzwall. Und die DDR -Propaganda schlachtete das Ganze in ihrem Sinne aus: Spione aus dem Westen würden nachts über die Grenze schleichen … Nach der Haft schob man Schorsch in den Westen ab. Eine absolut schräge Geschichte, eine der schrägsten, die ich je gehört habe. Zwei Jahre Zuchthaus für fünf Flaschen Bier und eine Bottle Schnaps!
Am nächsten Morgen traf ich mich ein weiteres Mal mit Torsten, der mich zu Kreuzottern führen wollte. Ich mag Schlangen, generell Reptilien, und die Kreuzotter ist sogar eines meiner Lieblingsreptilien. Die unter Naturschutz stehende Kreuzotter war nie sehr häufig, aber in den letzten zwanzig Jahren ist sie noch seltener geworden. Neben Lebensraumveränderungen ist möglicherweise die wachsende Anzahl an Wildschweinen dafür verantwortlich, die als Allesfresser auch Schlangen vertilgen. So hat man zum Beispiel festgestellt, dass es im italienischen Zentralapennin in wildschweinfreien Gebieten drei Mal mehr Aspisvipern gibt als in Regionen mit hoher Wildschweindichte.
Die Kreuzotter ist neben der Aspisviper, die in Deutschland nur in einem relativ kleinen Gebiet im Schwarzwald vorkommt, die einzige in Deutschland heimische Giftschlange. Sie ist die robusteste Giftschlange überhaupt und extrem kälteresistent: Die Kreuzotter ist als einzige Schlange noch jenseits des Nördlichen Polarkreises anzutreffen. Bei uns lebt sie vorwiegend in den nördlichen Heidegebieten, in den östlichen Mittelgebirgen und in Teilen Süddeutschlands.
Die Kreuzotter ist nachtaktiv, tagsüber kommt sie nur ans Licht, um sich zu sonnen, da sie wie alle Reptilien Wärme liebt. Ihre Hauptnahrung sind Mäuse, Eidechsen und Frösche. Um Beute zu machen, lauert sie bewegungslos, bis ihr eine kleine Spitzmaus oder eine Waldeidechse nahe kommt, dann schnellt sie vor, beißt zu, injiziert eine kleine Menge Nervengift und lässt das Opfer erst einmal wieder laufen. Nun wartet sie, dass das Neurotoxin zu wirken beginnt. Nach ein paar Minuten macht sie sich dann auf die Suche: Mit ihrer Zunge fängt sie Duftmoleküle ein, die an das Jacobsonsche Organ, ein Riechorgan im Gaumendach, weitergeleitet werden und ihr so die Spur zu dem verendeten Tier weisen. Eine Maus macht eine Kreuzotter, die im Schnitt nur sechzig bis siebzig Zentimeter lang wird, für mehrere Tage satt, sodass die Schlange bis zur nächsten Mahlzeit faul in der Sonne liegen kann.
Bei den Schlangen in unseren Breitengraden war jetzt im Frühjahr Paarungszeit. Kreuzottern gehören zur Familie der Vipern, abgeleitet von »vivipar«, was »lebendgebährend« heißt. Genaugenommen sind sie ovovivipare Schlangen, was bedeutet, dass sie ihre Eier im Mutterleib ausbrüten und – im August, September – etwa regenwurmgroßen Nachwuchs gebären. Da Vipern wie die meisten Schlangen keine Brutpflege betreiben, sind die Kleinennach der Geburt gleich auf sich gestellt und gehen auch allein in Winterruhe, eine Art Kältestarre.
Was mich an Kreuzottern unter anderem fasziniert, ist ihre Farbenvielfalt. Es gibt sie in verschiedenen Grautönen, von Silber- über Hell- und Dunkel- bis hin zu Blaugrau, in Braun oder Orange und, in seltenen Fällen, in Kupferrot und Schwarz. Schwarze Exemplare nannte man früher übrigens auch Höllenvipern oder Höllenottern. Ein charakteristisches Merkmal ist das Zickzackband auf dem Rücken, das bei roten und schwarzen Kreuzottern allerdings auch fehlen kann – wobei man es bei Letzteren ohnehin nicht sieht.
Über die Kreuzotter kursieren seit jeher zahlreiche Gerüchte und Unwahrheiten, etwa dass sie springen können und einen Menschen über weite Strecken verfolgen. Die meisten Geschichten ranken sich natürlich um die Giftigkeit des Tieres. Im Thüringer Wald erzählt man sich noch heute ein Schauermärchen, das ich schon aus meiner Kindheit kenne: Ein junges Liebespaar fuhr mit Decke und Rucksack auf seinem Moped in den Wald, um sich dort ungestört zu lieben. Sie waren so mit sich beschäftigt,
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