Ein deutscher Wandersommer
es nicht so ganz, denn richtig weiß sind sie eigentlich nicht. Sie sehen eher aus wie Vulkane, genauer: wie enorme Haufen heller Vulkanasche. Und sie haben so skurrile Namen wie Kalimandscharo oder Monte Kali. Und solche Berge tauchten nun vor Cleo und mir auf.
Als Cleo den ersten sah, knurrte sie. Sie würde auch knurren, wenn ein großer Findling in der offenen Landschaft läge.
Hunde haben eine andere Wahrnehmung als wir Menschen, und wenn Cleo etwas sieht, was sie nicht kennt und von dem sie keine Witterung bekommt, das ihr nicht geheuer ist und für sie daher Gefahr bedeutet, wird halt geknurrt. Und wenn das nicht hilft und das Ding sich nicht verkrümelt, dann wird richtig gebellt.
»Hey Cleo«, beruhigte ich sie, »das ist der Kalimandscharo. Das ist was ganz Tolles, da wollen wir heute noch hoch.«
Der Kalimandscharo der Grube Wintershall ragt ungefähr 530 Meter über dem Meeresspiegel auf, was hier bedeutet, dass er nur zweihundert Meter hoch ist. Aber was heißt schon »nur«? Zum Vergleich: Die Panoramaetage des Berliner Fernsehturms liegt in 203 Meter Höhe, das Drehrestaurant des Münchner Olympiaturms auf 182 Meter, und die beiden Türme des Kölner Doms sind gerade mal 157 Meter hoch. Der Monte Kali hat eine Fläche von 55 Hektar und besteht aus etwa 150 Millionen Tonnen Abraumsalz, das wiederum zu 96 Prozent aus Natriumchlorid, also Kochsalz, besteht; der Rest sind zwei Prozent Kali, das nicht extrahiert werden kann, sowie Ton, Lehm oder andere Sedimente. Und täglich kommen knapp 20000 Tonnen Abraum dazu. Da die Kaliberge eine bestimmte Höhe nicht überschreiten dürfen, um die Landschaft nicht komplett zu verschandeln, muss neues Material an den Seiten aufgeschüttet werden. Wobei diese Berge eigentlich recht hübsch aussehen und die wahren Probleme ganz andere sind.
Das eine ist wirtschaftlicher Natur: Die hiesige Lagerstätte erstreckte sich zwischen Kassel, Fulda und Eisenach, also beiderseits der Grenze, und wurde von konkurrierenden Unternehmen ausgebeutet. Als die DDR zusammenbrach, übernahm das westdeutsche Bergbauunternehmen Kali und Salz AG (die heutige K+S ) von der Treuhandanstalt die Mitteldeutsche Kali AG ( MDK ). Unwirtschaftliche Werke wurden geschlossen – in Ost wie West –, und an die 20000 Menschen verloren ihre Arbeit. Kein Wunder, dass sowohl ostdeutsche wie westdeutsche Kumpel nicht gut auf die K+S zu sprechen sind, wiewohl die Kaligruben noch immer vielen Menschen in der Region Arbeit geben.
Natürlich darf nicht jeder einfach so den Monte Kali hochlaufen, denn in der Grube wird noch gearbeitet. Cleo und ich hatten Glück und bekamen eine Führung ganz für uns allein, sogar gleich von zwei Bergbauingenieuren: einem aus dem Westen in weißem Schutzanzug, dem offiziellen Führer, den ich hier einfach mal Herr W nenne, und einem aus der ehemaligen DDR in Lederjacke und Jeans, Herr O , der sich uns zugesellte.
»Einen Moment bitte«, sagte ich, bevor es losging, und kramte aus meinem Rucksack kleine Schühchen für Cleo hervor, wie sie auch Schlittenhunde tragen und die ich für solche und ähnliche Gelegenheiten eingepackt hatte.
»Was wollen Sie denn damit?«, fragte Herr W erstaunt, als ich Cleo die Schuhe über die Füße streifen wollte.
»Na, damit sie sich auf dem Salz nicht die Füße wundläuft«, erwiderte ich irritiert.
»Ach«, lachte er, »da brauchen Sie sich überhaupt keine Sorgen zu machen. Das Zeug ist hart wie Beton.«
Und so war es tatsächlich. Und nicht nur steinhart, sondern auch ganz schön abschüssig. Ich schätzte die Steigung auf vierzig Grad. Während Herr W ohne ersichtliche Mühe den Weg hochstapfte, ging mir und Herrn O bald die Puste aus. Respekt, dachte ich, denn Herr W war nicht mehr der Jüngste; aber, so vermutete ich, wahrscheinlich läuft er jeden Tag hier hoch, vielleicht sogar mehrmals am Tag, der ist das gewöhnt. Cleo fand es übrigens super, da hochzulaufen, warum auch immer. Ich eigentlich ebenfalls, denn es kommt einem vor, als würde man über Bimsstein einen Vulkan besteigen.
Während Herr W mich mit Fakten über den Berg und die Grube fütterte, war Herr O nur am Schimpfen, wie viele Arbeitsplätze nach der Wende vernichtet worden waren, wie schön doch alles vorher war, dass Bergleute in der DDR viel Geld verdient hatten, dass man als Bergmann nicht zum Militär musste, dass es der Region so gut gegangen war und jetzt alles so schlimm war und und und. Herr W hielt dagegen, dass es doch so arg nicht sei und es den
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