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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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Menschen hier sehr gut gehe. Das mochte Herr O überhaupt nicht so sehen, und auf einmal war er verschwunden.
    »Nanu, wo ist denn Herr O?«, fragte ich.
    »Weg«, meinte Herr W lapidar und zuckte nur ratlos die Schultern.
    Oben hatte man einen unglaublichen Rundumblick. Im Osten sah man den Großen Inselsberg, den zweithöchsten Berg im Thüringer Wald; im Süden schauten wir Richtung Wasserkuppe und »Point Alpha«; im Südwesten zum Vogelsberg, von dort über den Knüll zum Meißner. Und im Norden, bildete ich mir ein, sogar schon den Harz mit dem Brocken sehen zu können. Ein grandioser Blick, dazu dieses Umfeld; es war wirklich sehr beeindruckend. Man musste nur das riesige Förderband ausblenden, auf dem ständig Abraum transportiert wurde. Als die Sonne allmählich auf die niedrige Wolkendecke im Westen herabsank, wurde alles in ein weiches, romantisches Abendlicht getaucht. Cleo und ich kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wir blieben da oben sitzen und genossen den Anblick, bis die Sonne hinter den Wolken verschwand. Das »Land der weißen Berge« löste eine eigenartige Faszination in mir aus, was Menschen vollbringen können. Vielleicht sollte ich das nicht sagen, aber wer schon einmal in Kimberley oder Jagersfontein in Südafrika war, kann das vermutlich nachvollziehen. Das »Big Hole« der Diamantmine von Kimberley gilt als das »größte je von Menschenhand gegrabene Loch«. Diesen Rekordstatus beansprucht auch Jagersfontein südwestlich von Bloemfontein, dessen Tagebaumine zwar nicht ganz so tief ist, dafür aber ein größeres Volumen hat.
    Das zweite Problem des Kaliabbaus ist ökologischer Natur.
    »Geh mal in der Werra schwimmen, oder putz dir mit ihrem Wasser mal die Zähne! Dann wirst du sehen, wovon wir reden«, riet mir einer der Männer, mit denen ich mich abends bei einem Glas Bier in einer Kneipe unterhielt.
    Da Cleo und ich im Zelt übernachteten, putzte ich mir am nächsten Morgen wie geheißen an der Werra die Zähne. Das Wasser schmeckte fast so salzig wie die Ostsee. Leicht salzig war die Werra schon früher gewesen, schlicht durch die natürliche Auswaschung der Salzlagerstätten. Mit dem industriellen Kaliabbau erhielt das Ganze aber eine völlig neue Dimension. Nicht nur, weil Salzabwasser ganz bewusst in die Werra eingeleitet wird. Schuld sind auch die Abraumhalden, da starker Regen selbst steinhartes Salz löst und auf die umliegenden Felder, Wiesen und eben in die Werra spült. Mit dem Werra-Cup unter dem Motto »Laufen für ein sauberes Werratal« – 285 Kilometer von der Quelle bei Fehrenbach bis zur Einmündung der Werra in die Weser bei Hann. Münden – laufen die Teilnehmer Jahr für Jahr gegen die Verschmutzung und eine weitere Versalzung des Flusses Sturm, der an sich ein sehr romantisches Gewässer mit schönen Wehren und grünen Ufern ist. Nebenbei bemerkt, hat ja die DDR jahrzehntelang ihren sämtlichen Dreck in Flüsse gepumpt, nach dem Motto: Uns völlig egal, wie die im Westen drüben ankommen. Die Elbe war biologisch tot, bis sie den Westen erreichte.
    Während ich das Zelt verstaute, fiel mir ein Mann auf, der über die Wiesen entlang der Werra lief und sich immer wieder Notizen machte.
    »Was machen Sie denn hier?«, fragte ich ihn neugierig.
    »Ich kartiere die Wiesen«, antwortete er freundlich.
    Aha.
    »Ich bin Biologe«, ergänzte der Mann, als er meinen verständnislosen Blick sah.
    »Darf ich fragen, wozu?«, hakte ich nach, weil ich noch immer keinen rechten Sinn erkennen konnte.
    »Natürlich. Sehen Sie mal.« Er winkte mir, ihm zu folgen. Nach einigen Metern deutete er auf eine braune Stelle mit seltsamen Pflanzen. »Das ist ein sogenannter Salzflecken.«
    Ich ging in die Hocke und schaute mir die Pflanzen genauer an.
    »Hoppla, das ist ja Queller!«, entfuhr es mir überrascht, denn Queller wächst normalerweise im Tidebereich der See, weshalb er auch »Meeresspargel« oder »Friesenkraut« genannt wird. Queller ist, als einzige Salzwiesenpflanze übrigens, ohne Salzzufuhr gar nicht lebensfähig. Der leicht pfeffrige und natürlich salzig schmeckende Meeresspargel scheint gerade in Mode zu kommen, denn man kann in mittlerweile sogar entfernt der Küste kaufen. »Wie kommt der denn hierher?«
    »Das weiß keiner so genau. Wahrscheinlich haben ihn irgendwann einmal Vögel mitgebracht«, vermutete der Biologe. »Queller und Salzflecken gab es hier ja schon, bevor man den Kaliabbau intensiv betrieb, weil das Salz unter der Erde auch ohne unser Zutun

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