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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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geschichtsträchtig. Luther übersetzte hier das Neue Testament der Bibel aus dem Lateinischen ins Deutsche, sah dort den Teufel und warf sein Tintenfass nach ihm. Die Stelle, an der das Wurfgeschoss die Wand getroffen hatte, war mindestens 35-mal aufgefrischt worden, weil jeder Besucher früher ein Stück von dem Tintenfleck von der Wand kratzte – und jeder dachte, er würde am Originalklecks kratzen. Heute ist von Tinte nichts mehr zu sehen, weil man das Schummeln irgendwann aufgegeben hat. Johann Wolfgang von Goethe weilte mehrmals hier, Richard Wagner besang die Wartburg im Tannhäuser . 1817 fand die erste bürgerliche demokratische Versammlung Deutschlands hier statt, als sich fünfhundert Studenten zum »Wartburgfest« trafen.
    In das Reich der Legenden gehört wahrscheinlich das »Rosenwunder« der Elisabeth von Thüringen. Demnach soll Landgraf Ludwig IV . seiner mildtätigen Frau verboten haben, den Hungernden von Eisenach Brot zu bringen. Als er sie eines Tages auf ihrem Weg aufhielt und wissen wollte, was sie in ihrem Korb habe, antwortete sie: »Rosen«, obwohl Brot darin war. Als sie auf sein Begehr hin das Tuch lüftete, lagen in dem Korb tatsächlich Rosen. Dieheilige Elisabeth lebte zwar tatsächlich auf der Wartburg und hatte ein großes Herz für arme Menschen, wurde aber, nach allem, was man weiß, in ihrer Barmherzigkeit von ihrem Gemahl unterstützt. Ganz sicher eine Sage ist der berühmte »Sängerkrieg«, in dem sich sechs Sänger und Dichter, unter ihnen Wolfram von Eschenbach und Walther von der Vogelweide, zu einem Wettstreit zusammengefunden haben sollen.
    Eine weitere tierische Besonderheit neben den Eseln sind die hübschen weißen »Elisabeth-Tauben«, Pfauentauben, die Elisabeth aus ihrer ungarischen Heimat mitgebracht hatte und deren Nachkommen heute in Massen die Wartburg bevölkern. Während ich die Aussicht genoss, spürte ich, wie Cleo neben mir leicht zu vibrieren begann. Im nächsten Moment stob sie davon, samt Leine, die ich nur locker in der Hand gehalten hatte. Bis ich mich umdrehte, stand sie inmitten einer weißen Federwolke. Ach, du Schande, dachte ich, stürzte zu ihr hin und hieß sie das Tier loslassen, das bis auf den Verlust etlicher Federn unverletzt, aber etwas benommen davonflatterte. Vermutlich sind die Tauben durch die lange Inzucht leicht degeneriert und haben, weil sie ständig von den Touristen gefüttert werden, keine große Feindwahrnehmung. Normalerweise hätte ein Hund nämlich keine Chance, eine Taube zu erwischen.
    Cleo und ich machten uns auf den Rundgang durch den Palas (das Hauptgebäude), das einzige noch erhaltene Fürstenschloss byzantinischen Stils auf deutschem Boden. Wir wanderten durch den Rittersaal, das Speisezimmer – in früheren Zeiten quasi das Wohnzimmer – und die Kemenate der Elisabeth mit zehn nachträglich angebrachten, nichtsdestotrotz beeindruckenden Mosaikdarstellungen aus dem weltlichen Leben der Heiligen. Über einen Aufstieg kamen wir in die Kapelle. Von dort ging es über dieElisabethgalerie in den Sängersaal und weiter in das Landgrafenzimmer. Das gesamte dritte Stockwerk nimmt der vierzig Meter lange gewaltige Rittersaal ein. Die Vogtei mit der Lutherstube, die sich nördlich anschließt und in der sich der Reformator von 1521 bis 1522 versteckt hielt, war natürlich ein Muss. Im sogenannten Dirnitz, in dem das Museum der Wartburg untergebracht ist, bewunderten wir unter anderem Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. und einen Schrank von Dürer. Die historische Waffensammlung »von europäischem Rang« mit siebzig Rüstungen bedeutender Persönlichkeiten, die sich früher in der großherzoglichen Rüstkammer befunden hatte, konnten wir leider nicht besichtigen, da sie nach dem Krieg in die U d SSR gebracht worden war, wo sie vermutlich heute noch ist.
Abstecher nach Gotha
    Thüringen hat so viele wunderschöne historische und kulturell wertvolle Denkmäler und Bauten, dass man als Tourist gar nicht so recht weiß, wo man zuerst hinfahren soll. Nach Eisenach schon allein der Wartburg wegen, klar. Weimar mit seiner elendlangen Liste an Sehenswürdigkeiten muss sowieso sein. Erfurt mit kaum weniger Touristenmagneten kommt gleich danach. Was dabei in aller Regel auf der Strecke bleibt, ist Gotha.
    Gotha liegt zwar ein Stück abseits der ehemaligen Grenze, aber natürlich wollte ich meine Heimatstadt nicht links – in dem Fall: rechts – liegen lassen.
    Der Weg führte mich durch die sagenumwobenen Hörselberge, wo Ritter

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