Ein deutscher Wandersommer
Wiedervereinigung von der Bundeswehr. Seit 1993 holt sich der Hainich in einem beeindruckenden Wiederbewaldungsprozess die einst militärisch genutzten Flächen zurück.
Der Nationalpark Hainich ist mit seinen Kalk-Buchenwäldern weltweit einzigartig. Naturfremde Bestände nehmen nur geringe Anteile ein; der Nadelholzanteil beträgt lediglich um die drei Prozent. Der dominierende Baum im Hainich ist die Rotbuche – umgangssprachlich nur Buche genannt –, ein typischer europäischer Baum, der nährstoffreiche, schwach saure bis kalkreiche Böden liebt. Daneben wachsen hier Esche, Ahorn, Linde und die seltene Elsbeere.
Große Laubwälder haben ihr eigenes Mikroklima. Durch die Beschattung des dichten Blätterdachs ist es in solchen Wäldern selbst im Sommer sehr feucht und einigermaßen frisch. Das Herbstlaub bildet am Boden eine Humusschicht, aus der andere Pflanzen sprießen, etwa die hübsche Waldorchidee Breitblättriger Stendelwurz, vor allem aber Bärlauch, Bärlauch und noch mehr Bärlauch. Riesige Flächen des Hainichs sind von April bis Juni mit dieser altbekannten Gemüse-, Gewürz- und Heilpflanze bestanden, die vor etlichen Jahren so richtig in Mode gekommen ist und seither in Wurst, Käse, Pestos, Dips, Brotaufstrichen und vielem mehr auftaucht. Schon von Weitem trieb der Wind Cleo und mir den Duft des auch Wald- oder wilder Knoblauch genannten Gewächses in die Nase. Cleo, die wie fast jeder Hund den Geruch von Knoblauch nicht ausstehen kann, rümpfte angewidert die Nase und hätte am liebsten auf der Stelle kehrtgemacht. Während wir durch das weiße Blütenmeer stapften, warf sie mir zu Anfang hinund wieder einen vorwurfsvollen Blick zu, doch zum Glück gewöhnte sich ihre Nase bald an den Geruch.
Bäume, die im Nationalpark Hainich umfallen, bleiben liegen und dürfen in diesem in sich geschlossenen Ökosystem dem Naturkreislauf dienen. Während sie verrotten, bieten sie einer Unzahl unterschiedlichster Insekten, Käfern, Würmern und Larven Unterschlupf und Nahrung, was wiederum viele Spechte und andere insektenfressende Vögel auf den Plan ruft.
Obwohl Nationalpark, wird im Hainich übrigens gejagt. Grund dafür ist, dass die großen Prädatoren fehlen – es gibt hier weder Luchse noch Bären oder Wölfe – und die kleinen, wie Füchse, Dachse oder Marder, den Rehen, Hirschen, Mufflons und Wildschweinen nicht Herr werden. Neben den für mitteleuropäische Laubmischwälder typischen Tierarten wie Reh, Wildschwein, Buchfink, Buntspecht, Grasfrosch oder Erdkröte kann der Hainich dank seiner Großflächigkeit und des hohen Strukturreichtums mit einigen Seltenheiten aufwarten, etwa dem Baummarder, der Wildkatze, dem Schwarzstorch oder der Gelbbauchunke.
Die Gelbbauchunke ist eigentlich ein Kulturfolger, der gern in Kulturlandschaften lebt. Und dazu gehören zum Beispiel Truppenübungsplätze: In den Spurrinnen und Mulden, die Panzer hinterlassen, verdichtet sich der Boden und bilden sich kleine Tümpel, in denen die Gelbbauchunke ablaicht. Natürlich wird bei der nächsten Übungseinheit viel Laich zerstört und auch mal eine Kröte plattgefahren, doch im Großen und Ganzen ist das Terrain für die Gelbbauchunke ideal. Als die Bundeswehr sich aus dem Hainich zurückzog, verlandeten die Tümpel allmählich und wurde die Gelbbauchunke eines Großteils ihres Lebensraums im Hainich beraubt. Dies ist einer der seltenen kuriosen Fälle, in denen der Rückzug des Menschen eine wild lebende Tierart gefährdet.
Das große Projekt »Rettungsnetz Wildkatze« des Naturschutzvereins BUND mag ein Ausgleich dafür sein. In seinem Rahmen wurden zunächst der Lebensraum und die Wanderwege der Wildkatzen im Hainich untersucht. Dazu wurden Wildkatzen gefangen und mit einem kleinen Peilsender versehen. Die Verfolgung der Signale offenbarte, dass die Tiere echte Waldbewohner sind und sich nie weiter als zweihundert Meter vom Hainich entfernten. Weite Felder und Wiesen scheuen sie. Andererseits weiß man aufgrund von DNA -Proben, die man aus Haaren gewonnen hat, die Katzen zum Beispiel an Bäumen hinterlassen, wenn sie sich an der Rinde reiben, dass es früher größere Wanderbewegungen unter den Wildkatzen gegeben haben muss. Will man isolierte Vorkommen vernetzen, um eine genetische Verarmung der einzelnen Populationen zu verhindern, muss man daher bewaldete Wanderkorridore schaffen. Ein erster solcher »Katzenpfad« verbindet den Nationalpark Hainich mit dem Thüringer Wald. Weitere sollen folgen und Brücken
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