Ein deutscher Wandersommer
zwischen Schwarzwald, Pfälzer Wald, Hunsrück, Eifel sowie Harz einerseits und dem Thüringer und dem Bayerischen Wald andererseits schlagen. Für den ersten Wanderkorridor wurde ausgerechnet eine Autobahn genutzt: die A 4 von Bad Hersfeld nach Dresden, die bislang Hainich und Thüringer Wald voneinander trennte. Beim Neubau der Trasse wurde nämlich eine Talbrücke über das Nessetal eingeplant, dessen Wald – oder zumindest ein Stück davon – direkt bis zum Hainich reicht. Die Wildkatzen können nun also mehr oder weniger gefahrlos die neue Autobahn überqueren und müssen dazu noch nicht einmal den Wald verlassen. Auf der anschließenden Wegstrecke durch die Hörselberge, auf dereine gut einen Kilometer breite Waldlücke klaffte, wurden 20000 Bäume zu einem Waldstreifen gepflanzt, der bis zum Thüringer Wald reicht.
Der Hainich hat mich schwer beeindruckt. Dieser Wald ist von unglaublicher Schönheit, zumal in den frühen Morgenstunden, wenn die ersten Sonnenstrahlen durch das grüne Blätterdach fallen und den noch nächtlich kühlen Boden dampfen lassen. Und der Baumkronenpfad, der sich in zwei Schleifen von 238 beziehungsweise 308 Meter Länge und in bis zu 44 Meter Höhe durch die Kronen schlängelt, gewährt einen einzigartigen Blick auf einen ansonsten unzugänglichen Bereich des Waldes.
Langsam näherten Cleo und ich uns der nächsten Landesgrenze und, was in den nächsten Tagen deutlich hörbar werden sollte, der Sprachgrenze zwischen dem Mittel- und dem Niederdeutschen, die mitten durch das Eichsfeld verläuft.
Das Eichsfeld
Das Eichsfeld, ein gut vierhundert Meter hohes Plateau mit einer Fläche von 1500 Quadratkilometern, ist eine wunderschöne Landschaft, die mich an die Gemälde von Caspar David Friedrich und anderen Romantikern erinnerte, eine richtige Bilderbuchlandschaft. Was mich überraschte, weil ich hier, mitten in Deutschland, nicht damit gerechnet hatte, war, dass die Menschen des Eichsfelds durch und durch katholisch sind. Überall kleine Kirchen, an bald jedem Wegkreuz stand ein Kruzifix, und ich dachte mir, nanu, das ist ja wie im tiefsten Bayern. Ich war wirklich verblüfft. Nun kamen Cleo und ich auch noch ausgerechnet an Fronleichnam ins Eichsfeld, und überall, selbst mitten durch den Wald, zogen singend und betend Bittprozessionen. Obwohl ich nicht religiös bin, hat mich dieses Zeichen fest verwurzelten Glaubens tief berührt. Bei einer dieser Prozessionen musste ich allerdings auch schmunzeln. Ein Stück hinter der Hauptgruppe von gut 25 Leuten liefen nämlich zwei dicke kleine Jungen, die es nur mit Ach und Krach den Berg hinaufschafften – und dabei fluchten, was das Zeug hielt.
Schon 1815 war das Plateau auf dem Wiener Kongress entlang der Werra zwischen Hannover und Preußen aufgeteilt und damit der Grundstein dafür gelegt worden, dass nach dem Zweiten Weltkrieg der Eiserne Vorhang mitten durch das Eichsfeld verlief. Damit wurde – wie so oft an der innerdeutschen Grenze – ungewollt ein weiteres Schutzgebiet für seltene Tiere geschaffen. Heute ist das Eichsfeld ein Gebiet mit enormer Artenvielfalt, speziell was Vögel, Amphibien und Reptilien angeht.
An einer steilen Felsenkante, die Cleo und mir freien Blick auf die herrliche Landschaft unter uns bot, trafen wir auf einen älteren Mann, der durch ein Fernglas den Himmel absuchte.
»Wonach halten Sie denn Ausschau?«, wollte ich wissen, nachdem ich ihn gegrüßt hatte.
»Ach, ich bin Ornithologe und gucke nach allen möglichen Vögeln.«
Komisch, dachte ich, dass es keine jungen Ornithologen gibt; zumindest habe ich noch nie einen getroffen.
»Gibt es hier Wanderfalken?«, fragte ich neugierig, »Ich meine nämlich, einen gehört zu haben, bin mir aber nicht sicher.«
»Ja, das haben Sie sich nicht eingebildet, hier gibt es tatsächlich Wanderfalken. Wieder, um genau zu sein«, erklärte mir der Vogelexperte Wolfram Brauneis. »Ende der 1970er-Jahre gab es in Westdeutschland nur noch wenige Brutpaare, aus Ostdeutschland war der Wanderfalke sogar völlig verschwunden. Ähnlich katastrophale Bestandseinbrüche oder sogar das völlige Verschwinden dieser Art waren in fast allen Ländern Mittel- und Nordeuropas zu beobachten.«
»Ich weiß, dass Wanderfalken hauptsächlich Tauben schlagen und ihnen deswegen früher die Taubenzüchter nachstellten. Aber das kann ja wohl nicht der Grund gewesen sein, oder doch?«
»Die Taubenzüchter haben den Wanderfalken zwar ganz schön zugesetzt, aber nicht so wie die
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