Ein deutscher Wandersommer
großflächige Anwendung von DDT in der Land- und Forstwirtschaft ab 1946. Das DDT sorgte dafür, dass die Eischalendicke massiv abnahm, sodass es bald kaum mehr Nachkommen gab. Mit dem Verbot dieses Pestizids in den westlichen Industriestaaten, dank des Schutzes der Brutplätze und zahlreicher Auswilderungsaktionen konnten sich die Bestände seither erholen. In Deutschland leben derzeit etwa 1000 Brutpaare. Dieser Erfolg wäre undenkbar ohne eine denkwürdige Zusammenarbeit zwischen Ost und West. 1968 –«
»Wie? Moment mal, Zusammenarbeit zwischen Ost und West? 1968? Zum Schutz von Wanderfalken?«, unterbrach ich Herrn Brauneis verblüfft.
»Ja, wie ich sagte: ›denkwürdig‹. Damals wurden aus den letzten noch bebrüteten Horsten der DDR zwei Falken entnommen. Das Männchen wurde Professor Christian Saar in Westberlin – Stellen Sie sich vor! Westberlin! – übergeben, dem in der Folge als erstem europäischem Züchter die künstliche Besamung von Wanderfalken gelang. Die Eier der verschiedenen Weibchen ließ er in Brutmaschinen ausbrüten, die Jungen, insgesamt fünfzig, zoger mit der Hand auf. Der unfreiwillige Samenspender aus Mönchsheide nördlich von Berlin wurde somit zum Stammvater eines Großteils des heutigen mitteldeutschen Bestands.«
Gemeinsam suchten Herr Brauneis und ich nun den Himmel ab, und tatsächlich kam nach einiger Zeit ein Wanderfalke angeflogen, der sich direkt vor uns in der Thermik treiben ließ. Durch das Fernglas konnte ich ihn in Ruhe betrachten, seine hellbeige, mit schwarzen Sprenkeln übersäte Brust, die gleich gemusterten Flügelunterseiten und Beine, die auffallend gelben Füße, den weißen Hals und den schwarzen Kopf mit den riesigen Augen. Welch majestätischer Greifvogel! Dann, ich konnte mein Glück kaum fassen, tauchte ein zweiter mit einer geschlagenen Taube in den Fängen auf. Leider steuerte er direkt seinen Horst an, der außerhalb unseres Blickfelds lag.
Der Wanderfalke ist der größte heimische Falke. Größere Falken sind nur noch der Saker- oder Würgefalke und der Gerfalke, die beide allerdings nicht in Deutschland vorkommen. Die Größe der Wanderfalken variiert je nach Lebensraum, in Mitteleuropa erreichen Männchen eine Körperlänge von etwa 35 Zentimeter und eine Flügelspannweite von bis zu 85 Zentimetern, Weibchen eine Körperlange von zirka fünfzig Zentimeter und eine Flügelspannweite von gut einem Meter. Lange Zeit wurde dem Wanderfalken eine enorme Geschwindigkeit zugeschrieben – es war von 250 Stundenkilometern und mehr die Rede –, neueste Radarmessungen in freier Wildbahn ergaben bislang jedoch nur eine Maximalgeschwindigkeit von 140 Stundenkilometer. Das ist immer noch so schnell, dass der Wanderfalke seine Beute eigentlich nur in der Luft schlagen kann, da er für einen Angriff am Boden sein Tempo nicht rechtzeitig drosseln könnte, um nicht wie eine Rakete einzuschlagen.Die Verletzungsgefahr wäre für einen derart schnellen Vogel viel zu hoch. Die hohe Geschwindigkeit des Wanderfalken gereicht, so skurril dies auf den ersten Blick klingen mag, seiner Jagdbeute nicht selten zum Vorteil. Vögel, die den anfliegenden Räuber rechtzeitig bemerken, beginnen sofort sehr eng zu kreisen oder lassen sich ein Stück fallen. Solchen Manövern kann der Wanderfalke aufgrund seines hohen Tempos nicht folgen.
»Solch urige Lebensräume, so nenne ich sie jetzt mal, wie das Eichsfeld hier – dünn besiedelt, mit steilen Felswänden zum Brüten, tiefen Wäldern und einem reichen Bestand an Vögeln sowie Kleinsäugern – sind eigentlich auch ideal für meinen Lieblingsvogel, den Uhu«, nahm ich das Gespräch wieder auf.
»Wir haben hier tatsächlich Uhus«, bestätigte mir Herr Brauneis. »Und das führt immer wieder zu Konflikten.«
»Wie das denn?«, wollte ich wissen. »Uhus und Falken haben doch völlig verschiedene Jagdstrategien und Beutespektren! Uhus jagen nachts und in der Regel am Boden. Außerdem sind sie eher hinter Nagetieren her.«
»Jaaa«, meinte er gedehnt, »die Konflikte gibt es ja nicht zwischen den Tieren, sondern den Tierschützern. Wir haben hier welche, die sich dem Schutz des Wanderfalken, und andere, die sich dem Schutz des Uhus verschrieben haben. Und ab und an wurden in Uhuhorsten halt Rupfungen und im Gewölle irgendwelche Knöchelchen von Wanderfalken gefunden. Der Uhu jagt ja, wie Sie eben selbst gesagt haben, nachts, und nachts ist ein Wanderfalke ziemlich hilflos. Der sitzt vielleicht auf seinem Horst in einer
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