Ein deutscher Wandersommer
Rudolf Virchow hatte hier gegraben. Unzählige andere prominente Besucher haben in einer Halle am Eingang ihren Namen in den Fels geritzt. Höhlen waren früher nur was für Mutige; schließlich stieg man ja in die Unterwelt ab.
»Da, wo Sie eingestiegen sind, drückt sich schon mal ein Fuchs oder ein Dachs irgendwie unter der Absperrung durch oder ein kleines Wildschwein, und – plumps! – fallen sie in das Loch«, erklärte mir der Forscher. »Wie schon vor 25000 Jahren. Die Neandertaler brauchten nur dazusitzen und zu warten, dass ihnen sozusagen die gebratenen Tauben auf den Kopf fielen.«
»Hm, sehr praktisch«, meinte ich.
»Gereicht hat das nicht. Auf Jagd mussten sie trotzdem gehen.«
Von dem ganzen Gerede übers Essen waren Cleo und ich hungrig geworden. Da ich so richtig Lust auf Angeln hatte und es in einem kleinen Fluss in der Nähe vor Bachforellen wimmeln sollte, ließen wir den Kiosk am Ausgang der Einhornhöhle links liegen, holten uns einen Tagesangelschein und setzten uns ans Wasser. Cleo und ich waren weitund breit die Einzigen, was mich etwas skeptisch stimmte, ob in dem Fluss wirklich so viele Forellen waren. Umso überraschter war ich, dass gleich der erste Wurf ein Biss war. Ich frage mich bis heute, warum in diesem Fluss niemand angelte, obwohl das Angeln dort erlaubt war.
Cleo war von ihrer Welpenzeit an ein bisschen wasserscheu gewesen. Sie ging zwar gern bei Regen spazieren, lief auch durch dickes, hohes nasses Gras oder im Flachwasserbereich eines Baches, aber sich ganz ins Wasser zu stürzen war bis dahin nicht ihr Ding. An jenem Tag jedoch platzte der Knoten. Ich hatte also eine Forelle am Haken, die ich drillen, sprich: ermüden wollte. Die Forelle war ziemlich groß und stark und meine Angelrute eher klein und schwach. Ganz vorsichtig versuchte ich sie ins Kehrwasser zu bringen, sie zog allerdings wieder in die Strömung hinein. Auf einmal sprang der Fisch aus dem Wasser, Cleo sah ihn und stürzte sich in das Flüsschen. Verfolgte ihn. Mir kippte regelrecht die Kinnlade nach unten. Was jetzt?, fragte ich mich, nachdem ich mich von meiner Überraschung erholt hatte, denn ich wollte weder den Fisch verlieren, noch dass sich Cleo womöglich in der Schnur verhedderte. Tatsächlich passierte genau das: Cleo verfing sich mit den Beinen in der Schnur! Doch ohne groß darauf zu achten, schnappte sie sich die Forelle. Mensch, jetzt schluckt sie noch den Blinker!, dachte ich erschrocken. Der Blinker ist der dreizackige Haken mit einem kleinen Blechfisch dran.
Im nächsten Moment riss die Schnur, Cleo konnte sich wieder frei bewegen, schwamm mit der Forelle im Maul an Land und legte sie mir vor die Füße.
»Ganz toll, Cleo! Das hast du gut gemacht!«, sagte ich zu ihr, denn natürlich musste ich sie jetzt loben.
Wir fingen an dem Nachmittag weitere sechs oder sieben Forellen. Da pro Tag nur zwei erlaubt waren, behieltenwir die zwei dicksten und setzten die anderen zurück ins Wasser. Am Abend grillten wir die Fische über einem Lagerfeuer vor dem Zelt. Cleo verputzte Schwanz und Kopf, und zwar komplett, ich bekam die Filets. War das lecker! Frische Bachforelle vom Lagerfeuer, da kann kein Gourmetrestaurant mithalten.
Der Luchs
Seit nunmehr zehn Jahren, als im April 2000 mit dem »Luchsprojekt Harz« der Versuch zur Wiederansiedlung der größten Katze Europas gestartet wurde, ist der Luchs ein Dauerthema im Harz und sorgt für Zündstoff, in erster Linie zwischen Jägern und Naturschutzverbänden.
Bis in die Neuzeit hinein war der Luchs, genauer: der Eurasische Luchs, fast in ganz Europa heimisch. Dann wurde er in Westeuropa nach und nach ausgerottet: 1850 wurde der letzte Luchs Deutschlands in den bayerischen Alpen getötet, um die Jahrhundertwende sein letzter Schweizer Artgenosse. In Österreich wurde der letzte Luchs 1918 erlegt und so weiter und so fort. Grund war wie so oft, dass der Luchs, nach dem Bären und dem Wolf das drittgrößte Raubtier Europas, in direkter Nahrungskonkurrenz zum Menschen stand.
Nun ist es aber so, dass es im Harz sehr viel Rotwild gab, auch ziemlich viele Rehe; so viele, dass sie dem Wald nicht gut getan haben. Weil wir ja nun ein neues Naturverständnis haben, dachte man sich, lasst uns doch hier mal ein paar Luchse aussetzen und gucken, ob sie wieder heimisch werden und das Schalenwild ein bisschen eindämmen. Und genau das tat der Luchs: Er räumte erst einmal ordentlich beim Rehwild auf, eliminierte alles, was alt, schwach,krank oder
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