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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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unaufmerksam war. Als leichte Beute unter den Rehen knapp wurde, nahm er sich Rotwild vor, denn dank seiner Größe – Schulterhöhe bis zu siebzig Zentimeter, Kater beziehungsweise Kuder werden im Schnitt zwanzig bis 25 und maximal 37 Kilo schwer, Weibchen erreichen durchschnittlich 15 bis zwanzig und höchstens 29 Kilogramm –, seiner kräftigen Reißzähne und gewaltigen Pranken ist der schnelle wendige Jäger in der Lage, zumindest Hirschkälber zu töten. Im Nationalpark Bayerischer Wald gibt es einen Luchs, der tötet sogar Hirschkühe, also Tiere, die mindestens doppelt so schwer sind wie er selbst. Das ist schon recht beachtlich. Zumal der Luchs wie alle Katzen mit Ausnahme der Löwen ein Einzelgänger und daher bei der Jagd auf sich allein gestellt ist.
    Weil nun die Luchse so schön für Ordnung sorgten und die verbliebenen Rehe eben wegen der Luchse deutlich scheuer wurden, kommt den Jägern nicht mehr so viel Wild vor die Büchse, weswegen sie nicht mehr bereit sind, die teuren Pachtpreise für die Reviere zu bezahlen. Der Luchs kann sich aber nur dann in Deutschland wieder etablieren, wenn alle an einem Strang ziehen und tolerant sind: Jäger, Bevölkerung und Naturschutzverbände. Interessanterweise hat die Bevölkerung mit dem Luchs kein Problem; vielleicht, weil er eine Katze ist. Im ganzen Harz wird man keinen finden, der sagt: »Oh, ich fühl mich jetzt irgendwie nicht mehr ganz wohl hier, weil es wieder Luchse gibt.« Ganz anders bei Wölfen. Da werden die Leute gleich hysterisch: Hilfe! Wölfe in unserer Nähe. Sofort flammt die alte Fehde zwischen Mensch und Wolf auf. Rotkäppchen und der Wolf, der Wolf und die sieben Geißlein und all diese Geschichten. Wenn ein Bär auftaucht, wissen wir ja, was passiert, siehe Bayern und Bruno. Chaos und volle Zeitungen.
    Der Luchs wäre durchaus in der Lage, einen Menschen anzugreifen. Und sähe man sich im Wald plötzlich einem ausgewachsenen Luchs gegenüber, bekäme man es sicher mit der Angst, weil wir den Anblick so großer Räuber nicht gewohnt sind. Es liegt aber überhaupt nicht in der Natur dieser Tiere, Menschen anzufallen. Wobei auch hier Ausnahmen die Regel bestätigen. Wenn ein Luchs seinen Nachwuchs bedroht sieht oder sich in die Enge getrieben fühlt, wird er einen Menschen attackieren. Grundsätzlich gehören wir aber nicht in sein Beuteschema. Der Luchs ernährt sich von Tieren. Punkt. In Alaska zum Beispiel, wo die Huftiere zu groß für einen Luchs sind, lebt er in erster Linie von Schnee- und Schneeschuhhasen und steigt und fällt die Luchspopulation mit dem »Angebot« an Hasen.
    Der ein oder andere Luchs kommt mal abends an den Stadtrand und frisst den Katzen die Milch und das Whiskas aus den Schälchen. Zu sehen bekommt man die Tiere trotzdem äußerst selten. Der Luchs ist schon durch sein geflecktes Fell hervorragend getarnt. Wenn er sich dann noch auf den Boden drückt, läuft man wenige Meter an ihm vorbei, ohne ihn wahrzunehmen. Dieses sich drücken ist typisch für Katzen. Sie vertrauen ganz auf ihre Tarnfärbung, nach dem Motto: »Ich seh dich, und ich krieg dich; aber du, du weißt nicht, wo ich bin, denn ich bin unsichtbar.« Luchse verlassen sich übrigens sehr stark auf ihre Augen und ihr Gehör – nicht umsonst gibt es die Redensart, dass jemand »Ohren wie ein Luchs« hat, eine andere Redensart spricht davon, dass jemand »Augen wie ein Luchs« hat; ihr Geruchssinn ist nicht so gut ausgeprägt.
     
    In einem altehrwürdigen Bau an der Oder – nicht zu verwechseln mit dem großen Bruderfluss in Brandenburg –, der ehemaligen »Königlichen Oberförsterei Oderhaus«,wie ein jahrhundertealtes Schild neben der Eingangstür bezeugt, ist heute eine Nebenstelle der Nationalparkverwaltung untergebracht. Dort traf ich einen der Luchsbeauftragten des Nationalparks Harz.
    »Mein Handy piepst, der Luchs meldet sich«, sagte Ole Anders, der junge, dynamische Mann mit Traumjob, kaum dass wir uns begrüßt hatten und dabei gleich zum Du übergegangen waren, und zog sein Handy hervor.
    »Haben bei euch die Luchse schon Mobiltelefon?«, fragte ich.
    »Nein«, lachte er. » GPS -Telemetrie. Wir haben Luchse mit Sendehalsbändern versehen, deren Daten per GPS an mehrere Satelliten gesendet und von dort an die Bodenstation in unserer Zentrale weitergegeben werden. Und wenn es irgendwelche Besonderheiten gibt, kriege ich eine SMS von der Zentrale, sprich den Satelliten, sprich dem Luchs. Ich muss mal gucken, was da los ist.«
    »Das

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