Ein deutscher Wandersommer
geheuer. Da wollte Herrchen doch wohl nicht hin?
Das Wasser war leider so trüb, dass ich nur eine Sicht von zwei Metern hatte statt der angegebenen zehn und mehr. Das Erste, worauf ich stieß, waren große alte Holzstücke. Dann Wasserpflanzenteppiche. An der Stelle, wo der Rundwanderweg über den abfließenden Rhume geht, lagen sehr viele Münzen im Wasser. Nicht nur Euro-, sondern auch DM - und fremdländische Münzen. Es wurden hier sogar schon Münzen aus dem 18. Jahrhundert gefunden, womit belegt ist, dass die Menschen schon früher ein Geldstück in die Quelle warfen. Auf einmal sah ich grauweiße Backsteine. Was machen die denn hier?, wunderte ich mich. Ich tauchte näher heran und stellte fest, dass eskeine Backsteine, sondern Pappkartons waren. Was mich fast noch mehr wunderte. Als ich nach einem davon griff, fiel er auseinander und gab Unmengen von Patronen frei. Und wie ich mich so umgucke, sehe ich, dass der ganze Boden an dieser Stelle komplett voll war mit Munition. Ich nahm eine Handvoll mit, um sie mir später genauer ansehen zu können. Wie sich herausstellte, war es Pistolenmunition, 9 Millimeter Para. Woher sie kam und warum sie in der Rhumequelle landete? Keine Ahnung.
Jedes Mal, wenn ich den Kopf aus dem Wasser streckte – ich hatte keinen Lungenautomaten und keine Druckluftflasche, musste also dauernd an die Oberfläche, um Luft zu holen –, sprang Cleo wie von der Tarantel gestochen um den Weiher herum. Dass ich immer wieder abtauchte und nach zwanzig, dreißig Sekunden woanders hochkam, brachte sie völlig aus der Fassung.
Ich hätte bestimmt noch mehr Sachen finden können, aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass die Kälte mir zu schaffen machte. Ich hatte nur einen Nassanzug an, bei dem am Reißverschluss, an der Halsöffnung sowie an den Hand- und Fußmanschetten Wasser eindringt. Ich war schon auf dem Weg ans Ufer, als ein Beamter auftauchte und meinte, ich solle jetzt raus aus dem Wasser, da die Wasserversorgung wieder angestellt werden müsse. Perfektes Timing.
Witzig war, dass in dem Moment, als ich aus dem Wasser stieg, eine ältere Frau ankam und sagte: »Ach, tauchen Sie auch nach Geld? Hier sind öfter zwei junge Mädchen, die sich ihr Taschengeld damit aufbessern.«
So viel zum Thema Sondergenehmigung, um in das Wasser zu dürfen.
Die Einhornhöhle
Der Harz ist nicht nur wegen der Rhumequelle, sondern auch wegen seiner vielen Höhlen, die dem Menschen bis in die Bronzezeit hinein als Behausungen dienten, eine archäologisch interessante Region.
Eine der bedeutendsten Fundstätten Deutschlands liegt in der Lichtensteinhöhle. 1980 stießen Höhlenforscher dort auf einen bis dahin unbekannten Teil und fanden darin die Reste von mindestens vierzig Menschen aus der Späten Bronzezeit, vom Kleinkind bis zum Greis. Da die Fundstücke von einer dicken Schicht Gipssinter bedeckt waren, waren sie so gut konserviert, dass man DNA -Proben entnehmen konnte. Bislang wurde die DNA von 22 Menschen aus der Höhle analysiert. Dabei stellte man – weltweit erstmals – fest, dass diese Menschen eng miteinander verwandt gewesen waren und eine Großfamilie bestehend aus drei Generationen gebildet hatten. Das war für die Fachwelt eine Sensation, denn verwandtschaftliche Beziehungen einer Menschengruppe waren bis dahin immer nur vermutet worden. 2007 dann wurden DNA -Proben von alteingesessenen Harzern gesammelt und mit denen aus der Höhle verglichen. Es stellte sich heraus, dass elf Personen dieselben genetischen Muster wie ein Großteil der Toten hatten. Zwar waren insgesamt dreihundert DNA -Proben von heute lebenden Harzern entnommen worden, dennoch ging ein großes Gelächter durch die Wissenschaft, nach dem Motto: Die Harzer sind so bodenständig, dass sie seit 3000 Jahren am gleichen Fleck leben.
Mehr als die Lichtensteinhöhle interessierte mich allerdings die Einhornhöhle bei Herzberg mit einer Gesamtganglänge von über sechshundert Metern, auf denen sichmehrere große Hallen und Dome aneinanderreihen, eine der größten Karsthöhlen in den wunderschönen »Harzer Dolomiten«. Höhlen übten schon immer eine unglaubliche Anziehungskraft und Faszination auf mich aus. Als Kind trieb ich mich mit meinen Freunden in den großen Kalksteinhöhlen auf dem Seeberg in der Nähe von Gotha herum. Mit unseren simplen Taschenlampen, bei denen ständig die Birnen durchbrannten und die Batterien zu schwach waren, und mit Fackeln erkundeten wir über Jahre hinweg diese Höhlen und kannten bald
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