Ein deutscher Wandersommer
ich unser Zelt auf.
Es gibt zwar einen offiziellen Besuchereingang und Führungen durch die Höhle, aber ich bildete mir ein, mich durch einen der Deckeneinstürze abzuseilen, wozu ich wieder eine Sondergenehmigung brauchte – und ein ziemlich langes Seil. Die Genehmigung hatte ich mir dieses Mal im Vorfeld besorgt, das Seil in Herzberg gekauft. Das Abseilenwar natürlich ein Gag für den Film, was Schräges für zwischendurch mit ein bisschen Action, wo sich der ein oder andere Zuschauer vielleicht auch dachte: Mensch, guck dir den doofen Kieling an. Der schleppt da ein Seil an und müht sich ab und vorn ist ein riesiger bequemer Eingang.
Wie dem auch sei. Cleo musste an diesem Tag am Zelt bleiben, was sie nur widerwillig akzeptierte. Ich stieg über die Umzäunung, die man zum Schutz für Wanderer und Tiere rund um das riesige Loch angelegt hatte, und seilte mich vorsichtig ab. Mit jedem Meter wurde es feuchter und vor allem kälter. Mittlerweile war Frühsommer, es schien endlich einmal die Sonne und war warm, draußen zumindest, hier in der Höhle war es wie in einem Eiskeller.
Auf den Boden der Höhle fiel noch etwas Tageslicht, aber in dem Gang, der weiter in die Höhle hineinführte, war es stockdunkel. Langsam tastete ich mich auf dem Weg voran, wobei meine kleine Stirnlampe keine sonderlich große Hilfe war. Immer wieder schälten sich seltsame, manchmal riesige, bedrohlich wirkende Schemen aus der Dunkelheit, die sich beim Näherkommen als harmlose Nachbildungen von Höhlenbären, Höhlenlöwen und Neandertalern entpuppten, die den Besuchern die Welt von damals veranschaulichen sollten. Für ein Kind, so dachte ich mir, muss das bestimmt gruselig sein, wenn auf einmal ein gewaltiger, hoch aufgerichteter Höhlenbär oder ein Höhlenlöwe vor ihm steht. Ich marschierte weiter, und auf einmal sah ich ein gutes Stück vor mir Licht und in diesem Licht eine weitere Figur. Aber diese Figur bewegte sich. Ich ging darauf zu. Ein Mann saß da umgeben von Scheinwerfern und grub im Höhlenboden. Um ihn nicht zu erschrecken, sprach ich ihn schon von Weitem an.
»Nanu, wo kommen Sie denn her?«, wollte er wissen. »Jetzt ist doch gar keine Führung.«
»Ich habe mich da hinten abgeseilt«, erklärte ich, während ich mit einer Hand über meine Schulter zur Blauen Grotte deutete, und setzte sicherheitshalber gleich hinzu: »Aber das ist in Ordnung, ich habe eine Genehmigung dafür.«
»Ah, Sie sind das.«
Offenbar kam es nicht oft vor, dass jemand um eine solche Erlaubnis bat.
Dr. Ralf Nielbock ist Geologe und Wirbeltier-Paläontologe. Er beziehungsweise der von ihm gegründete Förderverein »Gesellschaft Unicornu fossile e.V.« hat die Höhle von der Eigentümerin, der Gemeinde Scharzfeld, gepachtet, um sie »geotouristisch« zu erschließen und natürlich zu erforschen. Die Höhle ist zwar wunderschön, aber um richtig viele Besucher – und Forschungsgelder – anzuziehen, fehlt noch ein Highlight. Die Tiere, die man bislang gefunden hat, waren damals Allerweltstiere. Man weiß heute sehr viel über den Höhlenlöwen, den Höhlenbären oder Höhlenhyänen. Mitte der 1980er-Jahre hat Ralf Nielbock mit den Grabungen begonnen und scharrt, kratzt und fegt seither unverdrossen über den Höhlenboden. Seit über 25 Jahren.
Allmählich kroch mir die Kälte in die Glieder und ich begann mir in die Hände zu hauchen und die Arme zu reiben.
»Das muss doch hier, also, Sie müssen doch ständig erkältet sein, ständig frieren!«, sagte ich.
»Nö, man gewöhnt sich daran«, meinte Herr Nielbock, der tatsächlich nur eine Weste über dem Hemd trug.
Herr Nielbock bot mir eine Führung durch die Höhle an, und so marschierten wir gemeinsam los. Draußen scheint die Sonne, die wird dich bald wieder wärmen, sagte ich mir, und im Reiseführer steht, dass es am Eingang einen Kioskgibt, der sogar warme Speisen und Getränke hat. Nach wenigen Minuten hatte ich die Kälte vergessen. Vielleicht, weil es gar nicht so kalt war, wie ich es zu Anfang empfunden hatte, als ich aus der Wärme in die Höhle abstieg, wahrscheinlicher jedoch, weil die Führung so interessant war. Herr Nielbock erzählte mir, dass er sehr viele Knochen gefunden hat, auch von steinzeitlichen Menschen bearbeitete, aber noch keine Beerdigungsstätte, was sehr außergewöhnlich ist. Er hoffte, irgendwann auf ein Neandertalerskelett zu stoßen. Er erzählte mir außerdem, dass Schiller schon in der Einhornhöhle gewesen war, Goethe ebenfalls. Der Anatom
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