Ein deutscher Wandersommer
einem Tier auslöst, vielleicht sogar den Wunsch, zum Schutz dieser Tierart, seiner Lebenswelt und generell der Natur beizutragen, sodass sie sich sagen: Nationalpark finde ich gut, da spende ich mal zwanzig Euro. Manche finden durch solche Erlebnisse zu einem ganz neuen Umweltbewusstsein. Insofern haben die Schaugehege in Nationalparks eine ganz wichtige Aufgabe und ihre Berechtigung.
Ich durfte Ole ausnahmsweise in das Luchsgehege begleiten, das für »normale« Besucher sonst nicht zugänglich ist, und hatte das große Glück, so nahe an einen der Luchse heranzukommen, dass ich seinen Kopf mit den lustigen Pinselohren fast formatfüllend ins Bild bekam. Cleo hatte draußen bleiben müssen, ganz klar, denn die Luchse hätten sie mit Sicherheit angegriffen und schwer verletzt, wenn nicht gar getötet.
»Wie viele Luchse leben denn außerhalb des Geheges im Harz?«, fragte ich Ole auf dem Rückweg zur Königlichen Oberförsterei.
Eine genaue Zahl konnte er mir nicht nennen. Zwischen Sommer 2000 und Herbst 2006 waren 24 Luchse ausgewildert worden, und seit Sommer 2002 gab es nachweislich in jeder Saison Nachwuchs. Da aber immer wieder mal Luchse ab- und zuwandern und der ein oder andere dem Straßenverkehr zum Opfer fällt, kann man die Population nur schätzen. Für das Jahr 2009 ging man aufgrund zufälliger Sichtbeobachtungen, Rissfunde und Spuren im Schnee von etwa zwanzig Alttieren aus.
Brocken-Benno
Wer im Harz ist, der muss auf den Brocken. Das geht gar nicht anders. Goethe war oben, Eichendorff durchlebte dort eine »grauenvolle« Gewitternacht und Heine sinnierte auf dem Brocken über den Charakter des »deutschesten aller deutschen Berge«, wie er ihn nannte. »Allzuviel Pöbel«, beschwerte sich denn schon 1916 der Heidedichter Hermann Löns, »fährt sonntags durch den Harz und verschandelt das Land mit Papier und Flaschenscherben.« 1961 war damit Schluss. Der Brocken lag nun im Sperrgebiet, und sein Gipfel wurde militärisch massiv ausgebaut. Unter anderem errichteten die Stasi und der sowjetische Militärgeheimdienst GRU dort große Abhöranlagen, mit denen man bis nach England spionieren konnte.
Seit 1989 ist der sagenumwobene Berg wieder für Besucher zugänglich. Und sie kommen in Massen. Schon an einem durchschnittlichen Tag, das heißt einem, an demdas typische Brockenwetter den Blick nach allen Seiten hin vernebelt, finden sich allen Widrigkeiten zum Trotz um die 8000 Wanderer auf dem Gipfel ein, darunter etliche Schulklassen. Und an sonnigen Feiertagen sollen schon bis zu 60000 (!) zwischen Brockenhaus – der ehemaligen Abhöreinrichtung, auch »Stasi-Moschee« genannt –, ehemaligem Fernsehturm, zurückgelassenen Militäranlagen und Gulaschkanone herumgewandert sein. Bei klarem Wetter hat man aber auch eine grandiose Aussicht: mehr als zweihundert Kilometer. Da kann man bis weit hinter die Wartburg und den Inselsberg sehen.
Der Brocken ist voller Geschichten. Walpurgisnacht und Brockengespenst habe ich schon erwähnt. Außerdem kann man dort prima Hexenmilch (Eierlikör mit heißer Milch) trinken und Brockensplitter (Dreiecke aus Haselnusskrokant mit Schokoüberzug) essen. Man kann sich dem Charme vergangener Zeiten hingeben und sich von einer alten Dampflok der Harzer Schmalspurbahnen den Berg hochfahren lassen – wobei: Wenn man sieht, was die aus ihrem Schornstein pustet, geht man doch lieber zu Fuß. Und dann gibt es noch etwas beziehungsweise jemand ganz Besonderes: Brocken-Benno.
Brocken-Benno, der mit bürgerlichem Namen Benno Schmidt heißt, wandert fast täglich zum Gipfel – seit 3.Dezember 1989. Um genau an seinem 75. Geburtstag im Mai 2007 den 5000. Aufstieg feiern zu können, lief er an manchen Tagen sogar zweimal hoch. Längst steht er im Guinness-Buch der Rekorde, aber er macht weiter. Übrigens: Im Mai 2010 riss er die 6000er-Marke. Von alledem wusste ich nichts, als ich mich mit Cleo – bei schönstem Wetter übrigens – an den Aufstieg machte.
Etwa auf halber Höhe, wo man Richtung Nordwesten einen grandiosen Blick nach Goslar und mehr RichtungNorden nach Hannover hat, legten Cleo und ich ein Päuschen auf einer Bank ein, teilten uns ein Brot, tranken einen Schluck Wasser und grüßten, wie es sich gehört, die Wanderer, die vorbeikamen. Donnerwetter, geht der mit einem Zahn den Berg hoch!, dachte ich mir bei einem älteren Herrn, der wie der klassische Wandervogel aussah: Hütchen mit ganz vielen Abzeichen und Buttons, kleiner Rucksack, Kniebundhosen, aus denen
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