Ein deutscher Wandersommer
dünne Beine stakten. Ganz durchtrainierter Asket.
»Sie haben es aber eilig«, sagte ich, nachdem wir uns gegrüßt hatten.
»Kennen Sie mich denn nicht?«, fragte er daraufhin.
»Nö.«
»Was? Sie kennen mich nicht?«, wunderte er sich, in einem Ton, der nichts anderes hieß als: Mich kennt hier jeder! Mag sein, ich jedenfalls kannte ihn nicht, und Cleo übrigens auch nicht. »Ich bin Benno, auch Brocken-Benno genannt«, stellte er sich vor und drückte mir sofort eine Visitenkarte in die Hand. Wir hatten noch nie von diesem Mann gehört.
Na, das ist ja ziemlich schräg, dachte ich mir nach einem Blick auf die Karte, der hat sogar eine Website: www.brocken-benno.de. Am Brocken tummelte sich ja alles mögliche Volk. Da quälte sich der Mountainbiker hoch, da kam grölend eine Gruppe Männer angewackelt, die schon so kopflastig waren, dass man darauf hätte wetten können, dass sie den Gipfel nicht mehr schaffen. Da Vatertag war, sollten sie nicht die letzten Betrunkenen bleiben, die an jenem Tag am Brocken anzutreffen waren. Alte Leute, junge Leute. Durchgestylte Edelhiker im Fjäll-Räven-Outfit. Dann natürlich die zweite Liga, im Jack-Wolfskin-Dress, last not least die »normalen« Wanderer in No-name-Klamotten. Aber ein Typ, der sich nach dem Brockenbenennt? Und der offenbar so bekannt ist, dass er sogar Visitenkarten mit seinem Spitznamen hat? Oder einfach nur verrückt?
Während sich Brocken-Benno noch von der Tatsache erholte, dass Cleo und ich ihn nicht kannten, kamen zwei ziemlich angeheiterte, sehr lustige Männer auf uns zu.
»Ich werd verrückt!«, sagte der eine und stupste den anderen an, »Ich werd verrückt! Das halt ich nicht aus! Da sitzt der Bärenmann!« Und dann richtig laut: »Sie sind doch der Bärenmann! Und guck mal! Da sitzt Cita! Mensch! Was machen Sie denn hier?«
Die beiden verursachten einen derartigen Tumult, dass sich in wenigen Augenblicken etliche Menschen um uns versammelten. Dann kam eine Oma mit ihrem Mann und noch zwei Omas im Schlepptau an.
»Der Bärenmann! Der Bärenmann!«, rief sie, als hätte sie eine Erscheinung. »Ilse, mir wird ganz schlecht!«, japste sie und ließ sich auf die Bank fallen.
Ist das hier jetzt »Versteckte Kamera« oder was?, fragte ich mich. Das kann ja wohl nicht sein, dass die Leute wegen eines C -Promis und der vermeintlichen Cita derart aus dem Häuschen geraten. Was haben die bloß? Ich bin hier nur am Brocken. Kein Bär in der Nähe, kein Komodowaran, kein Salzwasserkrokodil, kein Schneeleopard, nichts! Das Ganze war wie ein schräges Bühnenstück.
Die beiden Männer nahmen nun erst einmal einen Schluck aus dem Flachmann, und ich versuchte die Oma zu beruhigen.
»Ach, wie geht’s denn Ihrem Sohn?«, war gleich ihre Frage.
»Dem geht’s wunderbar, machen Sie sich keine Sorgen. Der ist schon einen halben Kopf größer als ich und ganz prächtig.«
»Ach, und Cita!«, stammelte sie, und das klang wie: Dass ich das noch erleben darf. Und dann wieder: »Ilse, mir ist ganz schlecht!«
»Geben Sie der Oma doch mal einen Schluck aus Ihrem Flachmann!«, forderte ich die beiden Männer auf.
»Nein, nein, ich trinke nicht«, lehnte sie dankend ab.
Es war sehr, sehr seltsam. Derweil blieben nämlich immer mehr Leute stehen. Das ist dieser typische Effekt: Da steht ein Straßenmusikant und spielt, und keiner beachtet ihn. Dann stellen sich vier Leute dazu und lauschen, und auf einmal denken zwanzig andere, das muss etwas ganz Besonderes sein, und stellen sich ebenfalls dazu. Alle wollten nun wissen, wie es Erik geht und »Cita« streicheln. Da stellte ich erst einmal klar, dass »Cita« nicht Cita war, sondern Cleo, die Nachfolgerin.
Für das Ego ist es natürlich schön, wenn man erkannt wird, aber ich ärgerte mich und ärgere mich bis heute immer ein bisschen, wenn ich nur als Bärenmann erkannt werde, weil ich doch auch andere – und wie ich finde sehr schöne – Filme fürs ZDF und für National Geographic mache, und frage mich in solchen Momenten, ob denn keiner zum Beispiel die »Expeditionen zu den Letzten ihrer Art« gesehen hat.
Dann passierte etwas ganz Wunderbares. Es kam eine Gruppe älterer Männer, die regelmäßig die Wanderwege Deutschlands abmarschieren. Mit Wanderbüchern, in denen sie sich ihre Routen abstempeln lassen, mit Wanderstock samt Emblemen und allem drum und dran. Wahrscheinlich wären sie an einem anderen Tag an einem anderen Ort einfach an mir vorbeigelaufen, aber wegen all der Menschen um mich herum
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