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Ein deutscher Wandersommer

Ein deutscher Wandersommer

Titel: Ein deutscher Wandersommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Kieling
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das nächste starke Hochwasser; nicht zuletzt, weil nach 2002 vor allem in Sachsen-Anhalt die Deiche erhöht und verstärkt worden waren. Das Problem mit Deichen ist, wenn sie brechen. Dann ergießt sich die Flutwelle urplötzlich mit ihrer ganzen zerstörerischen Kraft über das angrenzende Gebiet. Wo es keine Dämme und Deiche gibt, breitet sich das Hochwasser allmählich aus, und es bleibt Zeit, Menschen sowie Hab und Gut in Sicherheit zu bringen.
    »Sie können sich gar nicht vorstellen«, erzählte mir ein Mann, der für die Deiche verantwortlich war, »früher, da reichte das Überflutungsgebiet der Elbe – sehen Sie da am Horizont?« – er deutete auf einen ungefähr drei Kilometer entfernten Punkt – »bis dahin.«
    Eine weite Fläche, allerdings liegen im Einzugsbereich der Elbe fünf Gebirgszüge mit Höhenlagen über 1000 Meter – Riesengebirge, Bayerischer Wald, Böhmerwald, Fichtelgebirge und Erzgebirge –, die zur Schneeschmelze dem Fluss enorme Wassermassen zuführen können.
    »Die Gehöfte, Häuser und kleinen Siedlungen«, fuhr der Deichgraf, wie ich ihn insgeheim nannte, fort, »waren natürlich so gebaut, dass sie für normales Hochwasser unerreichbar waren. Und wenn das Wasser doch mal höher stieg, war immer noch Zeit, die unteren Geschosse zu räumen und alles in die oberen Stockwerke zu schaffen. Undwenn alles vorbei war, schaffte man die Möbel wieder nach unten.«
    Heute wird das Korsett, das man für irre viel Geld gebaut hat, für wiederum irre viel Geld gelockert, und man gibt dem Fluss wieder mehr Raum. So wie man auch den Rhein zurückbaut und mit den Rhein-Auen Überflutungsgebiete schafft.
    Was mich schon am ersten Tag erstaunte, war, dass wir zwar jede Menge kleiner Motorsportboote, aber kaum Schiffe zu Gesicht bekamen. Dabei war die Elbe doch einmal eine wichtige Wasser- und Handelsstraße. Heutzutage recken alle die Hälse, wenn sie ein Schiff sehen. Wenn ich denke, was auf dem Rhein – Europas nasser Avenue – los ist!
    »Gucken Sie sich das an!«, schimpfte denn auch der Deichgraf. »Hier werden Millionen von Steuergeldern für die Erhaltung der Buhnen, für Schifffahrtszeichen – ganz aufwendig mit Blinkzeichen –, Tafeln am Ufer und Hast-du-nicht-gesehen verschleudert. Für die zwei Kähne, die hier am Tag vorbeikommen! Das ist doch ein Witz!«
    Am späten Nachmittag bauten Cleo und ich unser Zelt auf einer Buhne auf, setzten uns bei Sonnenuntergang an den gemächlich dahinziehenden Fluss und hielten die Angel ins Wasser. Eine leichte Brise strich uns um die Nase, die Wiesen dufteten. Eine geraume Weile kreiste ein Seeadler über uns, der hin und wieder seinen heiseren Ruf hören ließ, schnatternd strichen mehrmals Gänse über das Wasser. Kam mal ein Motorboot vorbei, winkten die Leute freundlich zu uns herüber.
    »Cleo, wir brauchen kein Mallorca, kein Gran Canaria, kein Mittelmeer. Hier ist es so schön. Mensch, Deutschland, was bist du wieder schön …«, sagte ich ein ums andere Mal.
    Noch heute, wenn ich an die Wanderung zurückdenke und die Augen schließe, kommt mir dieser Abend in den Sinn. Es gab zwei Momente – oder Stellen –, der eine war hier an der Elbe, der andere, als ich etliche Tage später mit Frau Jahns auf der Hollywoodschaukel in ihrem Garten am Schaalsee saß, wo mir das Herz aufging und ich am liebsten gar nicht mehr wegwollte. Das ist eigentlich das beste Gefühl, das man haben kann.
    Am nächsten Tag war es so heiß, dass Cleo und ich gegen Mittag eine längere Pause einlegten, faul in der Wiese lagen und das Nichtstun genossen. Wenn uns die Sonne zu sehr auf den Pelz brannte, kühlten wir uns in der Elbe ab. Das half jedoch immer nur für eine halbe Stunde, und so entschloss ich mich irgendwann, quer durch die Elbe ans andere Ufer zu schwimmen. Die erste Hälfte war kein Problem, doch in der zweiten wurde die Puste ein bisschen knapp.
     
    Während ich japsend am Ufer saß, kam ein seltsames Gefährt über das Wasser auf mich zu, ein Zwischending aus Fahrrad und Boot: Man sitzt auf einem Fahrradsattel, hat einen Fahrradlenker und tritt in die Pedale, nur dass die Kraft nicht auf Räder, sondern eine kleine Schiffsschraube übertragen wird. Stabilisiert wird das Ganze durch zwei große Schwimmkörper.
    »Das sieht ja schräg aus«, sagte ich zu dem Mann. »Haben Sie das selbst gebaut?«
    »Nein«, lachte er »das kann man so kaufen. Nennt sich Hydrobike.«
    Nachdem wir uns eine Weile über sein Wasserfahrrad unterhalten hatten, wollte er

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