Ein deutscher Wandersommer
anderem einen Naturgarten und einen Seetempel und gründete 1924 die Deutsche kristliche Folkspartei – die seltsame Schreibweise stammt daher, dass er auch eine eigene Rechtschreibung entwickelte. Wirklich ein total schräger Typ – mit einem traurigen Ende: 1943 kam er in ein Konzentrationslager, 1944 in eine Nervenheilanstalt. Nach dem Krieg lebte er wieder in Arendsee, bis er 1950/51 erneut in eine Nervenklinik kam, in der er 1952 starb. Mindestens genauso schräg wie er selbst: Seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es in Arendsee eine »Arbeitsgruppe Gustav Nagel«, die seine Gedanken und Botschaften der Nachwelt erhalten will, und seit 1999 einen »gustaf nagel – Förderverein«. Die Ruine seines Tempels und seine Kurhalle auf dem Gelände der Gaststätte »birlokal zum alten gustaf« sowie Schautafeln an der Strandpromenade halten darüber hinaus die Erinnerung an diesen wohl bemerkenswertesten und sonderlichsten Bürger vom Arendsee wach.
Jetzt passte einfach alles: Es war Sommer, herrlich warm, sodass mir ein kurzärmliges Hemd völlig reichte, die Haut bereits leicht gebräunt. Gut gelaunt und entspannt, wanderten Cleo und ich die Elbe entlang, die hier auf gut vierzig Kilometer die innerdeutsche Grenze gebildet hatte. Auf unserer linken Seite lag Niedersachsen, auf der rechten zunächst Brandenburg, später Mecklenburg-Vorpommern.
»Weißt du noch?«, sagte ich zu Cleo, als wir auf einer Buhne – das sind im rechten Winkel zum Ufer errichtete, kleinen Hafenmolen ähnliche Bauwerke, die dem Küstenschutz und der Flussregulierung dienen – eine Pause einlegten und uns die Sonne auf den Bauch scheinen ließen. »Die Rhön, das Schwarze Moor, Regen, klapperklapper, zitterzitter. Du frisst den Torf, ich weiß nicht, kriege ich jetzt eine Blasenentzündung oder nicht. – Und jetzt das hier!«
Der Kontrast war unglaublich. Cleo und ich fühlten uns unglaublich wohl, »Deutschland. Ein Sommermärchen«, allerdings nicht im Stadion, sondern in der Natur.
Im Elbe-Urstromtal
Das Elbe-Urstromtal ist einer der schönsten Lebensräume Norddeutschlands, die ich kenne. Das ist wie Milchkaffee mit Sahne obendrauf und noch ein Stück Kuchen dazu:abwechslungsreiche Landschaft, der breite Strom, die Buhnen, Auenwälder, beschauliche Dörfer hinter dem niedrigen Deich, so schön, dass sie in jedem Heimatfilm der Extraklasse als Kulisse dienen könnten, norddeutsche Gemütlichkeit, unglaublicher Tierreichtum. Fischotter, Biber, Moor- und Laubfrosch, Rotbauchunke und alle Arten von Vögeln, unter anderem Milan, Seeadler, Graugans, Kranich und Storch, tummeln sich hier. Nicht umsonst hat der BUND in Lenzen sein Tagungs- und Besucherzentrum. 1993 bekam der BUND die über 1000 Jahre alte Burg Lenzen geschenkt, die zuvor Privatbesitz war. Es musste zwar viel Geld in wichtige Renovierungsarbeiten sowie in den Um- und Ausbau gesteckt werden, aber so ein prächtiges Bauwerk hätte ich auch gern geschenkt gekriegt; es liegt außerdem traumhaft.
Durch verschiedenste Industriezweige im oberen Einzugsgebiet war die Elbe in ihrem Oberlauf in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts derart mit Schwermetallen und Schadstoffen belastet, dass sie, wie schon erwähnt, eigentlich tot war. Die Dresdner, die wenigstens ein Klärwerk hatten, meinten damals sarkastisch, statt Asphalt könne man für Straßenbauarbeiten genauso gut Elbwasser verwenden. Nach der Wiedervereinigung wurde durch die Schließung von Betrieben, den Bau von Kläranlagen sowie durch Sanierungsmaßnahmen aller Art die Wasserqualität zunehmend besser. Der Schadstoffgehalt sank an manchen Strecken seit 1990 um 90 Prozent! Das größere Problem sind heute Nährstoffe und Pestizide aus der Landwirtschaft. Noch immer gilt ein Großteil der Elbe als »kritisch belastet«, aber zumindest kann man wieder in ihr schwimmen – es wird sogar öffentlich dazu aufgefordert –, ohne sich gleich zu vergiften. Gefährlicher sind die starken Strömungen an den Buhnenköpfen.
Über viele Jahrzehnte hatte man die Elbe in ein viel zu enges Korsett gepresst, mit dramatischen Folgen. Das schlimmste Elbhochwasser seit 1845, die sogenannte Jahrhundertflut im August 2002, kostete insgesamt (in Deutschland und in Tschechien) 38 Menschen das Leben, und verursachte Schäden in Höhe von über 18 Milliarden Euro. Als das Wasser wieder abfloss, hinterließ es eine Schneise der Verwüstung. Nur wenige Jahre später, im März 2006, gab es
Weitere Kostenlose Bücher