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Ein Dicker Hund.

Ein Dicker Hund.

Titel: Ein Dicker Hund. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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jeder Erfahrung Hohn lachte. Timothy war sich nicht einmal bewußt, daß er sich auf einer Autobahn befand. Selbst das minimale Denkvermögen, über das er einmal verfügt hatte, war ihm abhanden gekommen. Bei eingeschaltetem Autopiloten aber war er in der Lage, ein ungeheuer schnelles Motorrad zu lenken, ohne auch nur im mindesten zu wissen, was er tat. Kurz gesagt, während der »Krötenstoff« durch seinen Blutkreislauf zirkulierte und mit seinen Synapsen unglaubliche Dinge anstellte, war Timothy Bright auf die Stufe eines hirnlosen, in grauer Vorzeit lebenden Urmenschen regrediert, hatte aber die mechanischen Fähigkeiten eines modernen, biersaufenden Rowdys beibehalten. Man hätte nicht sagen können, daß er völlig den Verstand verloren hatte, eine Einschätzung, zu der zwei Verkehrspolizisten gelangten, als die Suzuki mit 274km/h auf ihrem Radar auftauchte und sie beschlossen, ihn nicht zu verfolgen, weil sie sonst nur mit einer grausigen Einsammelaktion befaßt gewesen wären, bei der sie Unmengen von Leichensäcken benötigt hätten. Wie wahrscheinlich so ein Ende war, kam Timothy Bright nicht in den Sinn. Er befand sich im Mittelpunkt einer gigantischen Disko, wo Flammen und Schatten um ihn herumtanzten und sich Schreckensgestalten zu komplizierten Lichtmustern wanden und drehten, die Geräusche und Notenmuster waren, aus denen wiederum Farben und endlos lange Lichterketten wurden, ehe sie sich von den Katzenaugen in der Straße lösten und in die Gesichter von Mr. Markinkus und Mr. B. Smith verwandelten.
    Hätte die Suzuki noch viel schneller fahren können, hätte Timothy in diesem Augenblick dafür gesorgt, daß sie es tat. Er befand sich nun in den Klauen einer aberwitzigen panischen Angst, die nur einen beinahe unerträglichen Höhepunkt Erreichte, um von einer anderen abgelöst zu werden. Unter ihm rauschten die Kilometer unbemerkt dahin. Den auf ihn zuschwimmenden Rücklichtern von Personen- und Lastwagen wich er wie den Bildern in einem Videospiel aus, und zwar mit, so schien es den anderen Fahrern, beängstigender Leichtigkeit. Gegen zehn Uhr hatte Timothy die Autobahn verlassen und fuhr auf Nebenstraßen durch ein leicht gewelltes Hochland mit seinen Städtchen und Dörfern, bewaldeten Tälern und munteren Flüßchen. Hier verlangsamte er auf Anweisung seines Autopiloten vor Kurven, bremste, wenn nötig, und rollte hügelaufwärts und in Moorgegenden, wo wundersamerweise Schafe kurz vor oder kurz hinter ihm die Straße überquerten und es kaum Anzeichen menschlicher Besiedlung gab. Irgendwo vor ihm befand sich ein Schutz vor den Dämonen in seinem Schädel, und irgendwo vor ihm lag ein paradiesisches Land unendlicher Glückseligkeit. Zwar änderten sich die Bilder fortwährend, doch in unterschiedlicher Form trieb ihn auf seiner Fahrt der immer gleiche Fluchtbefehl voran. Weiter und immer weiter drang er in eine ihm bislang völlig unbekannte Welt vor, die er auch nie würde wiederfinden können. Und die ganze Zeit über war sich Timothy Bright seiner Handlungen und seiner Umgebung nicht bewußt. Seine Hand am Gashebel drehte sich mal in diese, mal in jene Richtung, verringerte die Geschwindigkeit in den Kurven und beschleunigte auf den Geraden. Er wußte davon nichts. Für ihn beherrschten seine inneren Erlebnisse das Sein. Irgendwann im Verlauf dieser Nacht taten sich sein Körpergefühl und die Bilder in seinem Hirn zusammen, so daß er der festen Meinung war, er stehe in Flammen und müsse sich seiner Haut entledigen, um nicht zu verbrennen. Er hielt das Motorrad in einer bewaldeten Gegend an einem Bach an, riß sich die Kleidung vom Leib und schleuderte sie die Böschung hinab, bevor er wieder auf die Suzuki stieg und splitterfasernackt in eine unendliche Landschaft fuhr. Nach weiteren fünfzehn Kilometern kam er an die Stelle, wo die Six Lanes End in die nach Norden führende Parson’s Road mündete. Timothy Bright brauste über die Kreuzung und auf eine den »Twixt & Tween«-Wasserwerken gehörende Privatstraße. Ungeachtet ihrer holprigen Oberfläche jagte er die Suzuki voran. Kurz klapperten Rindergitterroste unter ihm, und schon befand er sich auf der Hochebene Scabside Fell, wo er zwischen Feldsteinmauern und offenem Grasland dahinfuhr. Vor ihm hielt ein großer steinerner Damm das Wasser des Stausees zurück. Und hier an dieser Stelle endete die nächtliche Fahrt. Gerade als er beschleunigte und auf das zusteuerte, was für ihn wie der Himmel so blau, so blau aussah, registrierte ein

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