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Ein Dicker Hund.

Ein Dicker Hund.

Titel: Ein Dicker Hund. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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war. Er hörte ein Stöhnen, und der Knubbel unter ihm (Timothy Brights Schulter) bewegte sich. Major MacPhee lag, von seinem wild pochenden Herzen abgesehen, reglos da und lauschte schreckerfüllt auf ein weiteres Geräusch, doch es blieb still im Zimmer, Es sei denn ... es sei denn, er hörte jemanden atmen. So war es. Jemand lag unter dem Bett, und dieser Jemand hatte geschnarcht und gestöhnt. Vor Angst wie gelähmt, versuchte er nachzudenken, was ihm aber nur in äußerst beschränkter Form gelang. Kindische Panik hatte ihn gepackt. Zehn Minuten lang lag er bewegungslos da, lauschte dem gräßlichen Atmen und probierte, all seinen Mut zusammenzunehmen, um aufzustehen, das Licht anzumachen und unter dem Bett nachzusehen. Das war zwar fast unmöglich, doch irgendwann gelang es ihm. Ganz, ganz vorsichtig zog er die Vorhänge auf– das Licht würde er auf keinen Fall einschalten –, bückte sich dann und spähte in das Halbdunkel unter dem Bett. Im nächsten Augenblick richtete er sich kerzengerade auf und stolperte zur Tür. Das Gesicht, das er soeben gesehen hatte, war die Bestätigung seiner schlimmsten Ängste. Es war blutig und aschfahl. Unter seinem Bett lag ein ermordeter Mann. Oder einer, der noch nicht ermordet war, aber im Sterben lag. Und dieser Mann war splitterfasernackt. Der Major flüchtete ins Eßzimmer und wollte gerade weiter in den Flur gehen und nach Miss Midden rufen, als ihm bewußt wurde, wie sie reagieren würde, und er abrupt stehenblieb. Sie hatte ihm befohlen, ihr am Morgen aus dem Weg zu gehen, und sie hatte es ernst gemeint. Aber in seinem Zimmer lag ein Sterbender, ein nackter Mann, der ermordet worden war. Major MacPhee verlor den Kopf. Seine ganze Fassade fiel, und er war nur noch genauso kindisch und hilflos, wie er es sein Leben lang gewesen war. Er sah lediglich, daß man ihm das Schlimmstmögliche antat. Sein lädiertes und genähtes Gesicht verzerrte sich. Auch er wurde aschfahl. Er wußte sich nicht mehr zu helfen. Er lehnte an der Wand und zitterte unkontrolliert. Er zitterte zwanzig Minuten lang, ehe er sich so weit erholte, daß er sich setzen konnte. Doch auch jetzt konnte er noch keinen klaren Gedanken fassen. Seine verborgenen Schuldgefühle stiegen in seinem Hirn auf, kamen aus ihrem Versteck und schlugen über ihm zusammen. Er hatte sie nie überwunden, und jetzt überwältigten sie ihn ganz und gar, verstärkten die panische Angst. Schließlich rappelte er sich auf und ging zu dem Sideboard, wo er eine Karaffe mit Whisky aufbewahrte. Er brauchte einen Drink. Unbedingt. Major MacPhee setzte sich an den Eßzimmertisch und trank. Und dort saß er immer noch, als Miss Midden um neun Uhr nach unten kam. Die Karaffe war leer, der Major hatte sich auf den Fußboden übergeben und lag nun sinnlos betrunken in seinem eigenen Erbrochenen.
    »Sie dreckiger Mistkerl, Sie widerwärtiger kleiner Schwindler«, schrie sie. Der Major hörte sie nicht. »Verdammt noch mal, jetzt reicht’s mir mit Ihnen. Sie fliegen noch vor Einbruch der Dunkelheit aus diesem Haus. Bei Gott, ich schmeiß Sie raus.«
    Dann drehte sie sich um, ging kochend vor Wut weiter in die Küche und machte eine Kanne sehr starken Tee. Der Major hörte sie nicht. Er nahm nicht mehr wahr, was in einer Welt vorging, die so viele Schrecken barg. Doch unter dem Bett hörte Timothy Bright ihre Worte und zitterte. Er fror, er hatte einen ekligen Geschmack im Mund, und durch sein Hirn zuckten Visionen von einem enthäuteten Schwein. Drohend ragten ein Paar Hausschuhe vor ihm auf, und erst nach einer Weile merkte er, daß keine Füße darin steckten und darüber keine Beine waren. Dennoch hatten sie etwas schrecklich Bedrohliches an sich: Sie gehörten ihm nicht. Er trug keine billigen Hauslatschen aus Filz. Seine waren aus Leder und mit Wolle gefüttert. Als er den Blick langsam von den Dingern entfernte, sah er die Holzbeine eines Stuhls, den unteren Teil einer Tür, eine Scheuerleiste, das untere Viertel einer Garderobe mit dazugehörigem Spiegel, eine rosa Tapete mit Blumenmuster und einen gleißend hellen Sonnenstrahl, der darüber und ein Stückchen quer über den Fußboden verlief. All das war ihm völlig unbegreiflich. Er hatte diese Dinge nie zuvor gesehen, und der Blickwinkel, aus dem er sie jetzt sah, machte sie noch unverständlicher, noch sinnloser. Weder kannte noch verstand er sie. Sie gehörten irgendwie zu seinem furchtbaren, von innen kommenden Grauen. Doch die Worte, die Miss Midden im Wohnzimmer dem

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