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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Palance. Wer aber war der ältere, feine Herr im leuchtend blauen Nadelstreif, welcher ein Monokel trug und dieses typisch kunstvolle, überkorrekte Französisch und Englisch eines Wiener Emigranten sprach? War das nicht …?
     
    »Verdammt, Cheng, was tun Sie hier? Wie können Sie mir das antun? Wie können Sie Carl hierher bringen?«
    Es war Anna Gemini, die gesprochen hatte, gewissermaßen über einen Dialog zwischen Michel Piccoli und Jack Palance hinweg. Sie stand seitlich im Raum, sodaß ihr Schatten auf den Rand des Films fiel. Vor ihr, auf einem der äußeren Kinosessel, saß Apostolo Janota. Er machte dieses Gesicht von jemand, der schon einmal mehr gelacht hatte. Was wohl kaum mit dem Film zusammenhing. Eher mit der Pistole, welche Anna Gemini ihm noch kurz zuvor ins Gesicht gehalten, jedoch beim Eintreten Chengs und Carls rasch gesenkt hatte und nun hinter ihrem rechten Oberschenkel zu verbergen suchte. Nicht vor Cheng. Vor ihrem Jungen.
    Cheng jedenfalls hatte die Waffe bemerkt, hatte sie ja auch erwartet. Gleichwohl meinte er jetzt: »Sie haben mich doch gebeten, auf Ihren Sohn achtzugeben.«
    »Ich sagte, Sie sollen bei ihm bleiben. Draußen!«
    »Tut mir leid«, entgegnete Cheng, »aber das war ganz unmöglich. Das sehen Sie doch selbst ein, nicht wahr?«
    »Sie hätten zumindest Carl heraushalten müssen. Ihn bei jemand anders lassen. Ich sagte Ihnen ja schon, er mag auch fremde Menschen.«
    »Ich mußte ihn mitnehmen«, erklärte Cheng. »Seine Anwesenheit garantiert mir, daß Sie unterlassen, was Sie beabsichtigen, zu tun. Ich wüßte nicht, wie ich Sie sonst hindern könnte. Sie haben ja wohl Ihre Anordnungen.«
    »Die halten sich in Grenzen. Sicher nicht mit denen zu vergleichen, die Ihnen unser Herr Janota aufgetragen hat.«
    »Ich und Janota? Wie kommen Sie auf so was?«
    »Hören Sie auf«, bat Anna, »Theater zu spielen. Und bringen Sie endlich Carl hinaus. Seine Anwesenheit garantiert gar nichts. Solange er hier ist, werden wir das Problem nicht lösen.«
    Nun, Cheng mußte Gemini recht geben. Ihm war unbehaglich, Carl an seiner Seite zu wissen. Egal, was passieren würde, es gehörte sich einfach nicht, einen Vierzehnjährigen wie ein Faustpfand einzusetzen.
    »Versprechen Sie mir«, probierte es Cheng, »nichts zu unternehmen, solange ich weg bin?«
    »Ich verspreche es«, sagte Anna. Und an ihren Sohn gerichtet: »Schatz, geh mit Herrn Cheng hinaus. Tu, was er sagt. Und vergiß nicht, du bist mein Leben und mein Glück.«
    Carl zwinkerte. Aber sein Gebrabbel besaß einen unsicheren Klang. Er spürte wohl, daß etwas nicht in Ordnung war. Ganz und gar nicht in Ordnung. Während Cheng den Jungen aus dem Raum und zurück ins Foyer führte, dachte er sich, wie blödsinnig es sei, dem Versprechen einer Killerin zu trauen. Wahnsinn eigentlich. Er schüttelte den Kopf. Aber was sollte er tun? Er war Cheng. Und Cheng war so. Er hatte die Regeln Anna Geminis akzeptiert, wie er ja immer wieder die Regeln ausgerechnet jener Menschen akzeptierte, die seine Gegner waren. Nicht ganz untypisch für einen Engel als Detektiv.
    Er sah sich nun nach jemand um, an den er seine Rolle als Sitter eines Kartäusers abgeben konnte. Und traf eine rasche Entscheidung. Eine ziemlich konventionelle. Indem er nicht etwa eine von den Modepuppen anredete, die hier massenweise herumstanden und so gar nichts Mütterliches oder auch nur Menschliches an sich hatten. Eher wie Raketen aussahen, dünne Raketen. Auch keinen von den Männern, gewissermaßen die Raketenwerfer. Nein, es war ein ausgesprochen mächtiges Weib, das er auswählte, eine Walküre mit Architektenbrille. Er trat auf sie zu, stellte sich und Carl vor und redete von einem Notfall, der ihn dazu zwinge, seinen Adoptivsohn kurz alleine zu lassen, weshalb es sehr freundlich von Frau … Frau …
    »Frau Dr. Sternberg.«
    »Oh ja! Dr. Sternberg, sehr gut. Wenn Sie vielleicht einen kleinen Moment bei Carl bleiben könnten. Er liebt Gesellschaft. Er liebt Frauen mit Brillen. Aber er haßt es, wenn niemand für ihn da ist.«
    »Er sieht aber nicht aus, als wäre er ein Baby«, stellte Frau Dr. Sternberg fest.
    Cheng hatte keine Zeit, ihr beizupflichten. Er drängte Carl in Richtung der großen, bebrillten Frau, sagte: »Bis gleich!«, wandte sich um und ging.
    »Warum ich?« rief die Frau hinterher.
    Cheng war schon viel zu weit weg, um eine Antwort zu geben. Es war jetzt Carl, welcher sprach. Man konnte nicht sicher sein, was genau er da sagte. Es klang

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