Ein dickes Fell
Frau und ihres Vaters wegen), seine Doktorarbeit zu beenden, das letzte Element seiner feststehenden Aura zu erwerben und, und, und. Alles Gute und Schöne, das es gab, hatte sich ihm dargeboten. Und genau in diesem Moment, Millimeter vor dem Triumph, wollte das Schicksal es, daß er in ein Zeitloch fiel, um sich in einer Welt wiederzufinden, die mit seiner bisherigen nur soviel zu tun hatte, als daß man auch hier Doktorarbeiten schrieb, konvertierte, heiratete, führende Positionen übernahm und so weiter und so fort.
Aber auf welchem Niveau?! Einem ganz und gar scheußlichen. Abgesehen davon, daß Janota zunächst einmal – ohne Paß, ohne Familie, ohne Biographie – sich außerstande gesehen hatte, auf welchem Niveau auch immer, irgendein Glück zu erobern. Auch war er wegen des Sturzes durch die Zeit lädiert und verdreckt und völlig aus dem Gleichgewicht gewesen.
Daß es ihm in diesen zehn Jahren gelungen war, sich den neuen – eigentlich alten, sehr, sehr alten – Verhältnissen anzupassen, eine alte Sprache zu erlernen und sich die alten Sitten und Gebräuche anzueignen, um in der Folge zu einem anerkannten Mitglied der alten Gesellschaft zu mutieren, ist natürlich kein Wunder. Seine Intelligenz hätte zu weit mehr gelangt. Hingegen schien sie nicht auszureichen, in ein rückführendes Zeitloch zu springen. In das richtige, wenn möglich. Aber nicht einmal ein falsches glückte. Janota hätte mit Leichtigkeit ein Goethe-Gedicht fehlerlos in dreiundzwanzig Sprachen aufsagen können, doch dem Mysterium der Zeitlöcher stand er hilflos gegenüber. Wenn auch nicht tatenlos.
Als besonders perfide an dieser Misere schien paradoxerweise ein Phänomen, das gläubige Theoretiker seiner Welt dahingehend beschrieben, es würde sich im Falle eines tief in die Vergangenheit führenden »Kanals« eine extreme Ungleichheit der Zeitverläufe ergeben. Was im konkreten Fall bedeutete, daß während Janota diese zehn Jahre im zwanzigsten beziehungsweise einundzwanzigsten Jahrhundert abgesessen hatte, in seiner eigentlichen, ursprünglichen Welt bloß der winzige Bruchteil einer Sekunde vergangen war. Kein Furz war darin unterzubringen. Nichts, was nur irgend jemand bemerkt hätte. Außer vielleicht eine aufmerksame Maschine. Wenn es die noch gegeben hätte. Doch darüber waren Maschinen längst hinweg. Sie waren zwischenzeitlich träge und nachlässig geworden, die Maschinen. Hochintelligente, aber faule Säcke.
So erfreulich es nun sein mochte, daß Janota gut und gerne ein paar hundert Jahre in der Vergangenheit hätte zubringen können, ohne daß selbst seiner Verlobten etwas auffiel, blieb natürlich das Faktum seines Alterns und seiner Endlichkeit. Ja, er alterte, nicht aber seine Verlobte.
Was nützte es da, daß er sich in diesen zehn Jahren gut gehalten hatte, weniger verbraucht wirkte denn interessant. Was nützte es, daß vieles auf plastischem Wege zu korrigieren war. Es bestanden Grenzen. Auch in der Zukunft. Es schien Gott einfach zu gefallen, die Menschen gleich welcher Epoche altern und sterben zu lassen. In dieser Hinsicht blieb der Weltenschöpfer stur wie ein kleiner Hund mit großen Ohren.
Weitere zehn Jahre würde Janota kaum durchstehen können, ohne merklich an Substanz, an Energie, an äußerer wie innerer Attraktivität einzubüßen. Und noch mal zehn Jahre und er wäre ein alter Mann. Was könnte es ihm dann noch nutzen, in das richtige Zeitloch zu geraten und in seine Welt zurückzukehren. Eine Welt, in der seine Verlobte gerade mal zur Hälfte eingeatmet haben würde. Und er? Er wäre dann in einem Zustand, da man an die Rente dachte. An Hobbys abseits der Liebe.
Dazu kam, daß das Leben, das er hier und jetzt zu führen hatte, sich natürlich auch intellektuell und psychisch auswirkte. Ihm kam vor, daß er verblödete, daß er kaum noch in der Lage gewesen wäre, den Gesprächen zu folgen, wie man sie dort führte, wo er herkam. Er hatte sich an eine andere Art von Leben gewöhnt, gewöhnen müssen. Daran, blaßblaue Leinenanzüge zu tragen, in der Früh zum Bäcker zu gehen und auf einem Ding zu schlafen, das man Bett nannte, aber wie ein Sarg aussah. Und tatsächlich pflegten nicht wenige Menschen auf solchen Unterlagen, solchen gestapelten Löschblättern zu sterben.
Und dann sein Beruf!? Was war es auch für eine komische Idee gewesen, Komponist zu werden? Filmmusiken zu schreiben?
Gut, eine Entscheidung war zu fällen gewesen, wollte er nicht ewig das Dasein eines streunenden
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