Ein dickes Fell
vermuten. Eine Wahrheit, die möglicherweise dem Autor gar nicht bewußt war oder auf die er dank eines Zufalls gestoßen war. Sicher nicht auf Grund seiner denkerischen Hellsicht oder spirituellen Kompetenz. Zeitlöcher hatten nichts Spirituelles. Viel eher reagierten sie wie eine Blume, die sich unter bestimmten Umständen öffnet und unter anderen schließt. Und niemals das eine mit dem anderen vertauscht, bloß weil jemand eine Litanei anstimmt oder fünfundzwanzig Kieselsteine in einem Kreis auflegt.
Es war also nicht nur ein hoffnungsvoller, sondern auch ein verzweifelter Akt, sich auf ein solches Buch zu verlassen, dessen Autor Janota für einen geschäftstüchtigen Spinner hielt.
Das entscheidende Kapitel dieser Schrift war natürlich jenes über die Auffindung von Zeitlöchern. Wobei die These behauptet wurde, daß Zeitlöcher stets in Gruppen auftreten würden, gleich den Verteilerkreisen einer Stadtautobahn.
Der Autor hatte nun eine komplizierte Formel entwickelt, der zufolge man diese Orte lokalisieren konnte, eine Formel von der Art eines Zaubertranks, als mische man Hühnerbeine und Schlangengift und Aspirin zusammen, höchst unsympathisch das Ganze. Aber Janota hatte sich nun mal entschlossen, diese Sache ernst zu nehmen und die Formel auf die Stadt, in der er sich befand, also Wien, anzuwenden. Und wie der Teufel es so wollte, und er wollte es aus vollem Herzen, ergab die mathematische Verquickung von Koordinaten, Sternkonstellationen, Telefonnummern, Fernsehanschlüssen und einigem Kram mehr genau jenen Punkt, an dem sich das baufällige Häuschen von Mascha Retis Enkelin Nora befand.
Nun hätte die Rechnung, die Janota aufgestellt hatte, wahrscheinlich auch ein ganz anderes Resultat ergeben können. Schließlich war er nicht der einzige Wiener Leser dieses Buches, und dennoch schien niemand außer ihm auf dieses Haus gestoßen zu sein. Andererseits war er überzeugt, Fähigkeiten zu besitzen, die anderen nicht zur Verfügung standen. So wie er auch sicher war, daß diese Formel, wenn sie denn tatsächlich einen Wert besaß, nicht aus dem Hirn des größenwahnsinnigen Schreiberlings stammte, sondern wahrscheinlich gestohlen worden war.
Von wem gestohlen?
Gute Frage, allerdings sah sich Janota außerstande, jede Frage, die sich aufdrängte, auch zu beantworten. Er machte es wie alle. Er vertröstete sich auf später. Mal sehen.
Zunächst aber wollte er ganz einfach in dieses Haus hinein, wollte herausfinden, ob sich denn die Ansammlung von Zeitlöchern in irgendeiner Weise bemerkbar machte. Deutlich bemerkbar. Oder ob man nach ihnen zu suchen hatte wie nach jenen vielzitierten Nadeln, die mysteriöserweise in Heuhaufen verlorengehen. Als existierten keine Nähkästchen.
Freilich entsprach es nicht seiner Art, nächtens in bewohnte Häuser einzubrechen. Er war immerhin Oscargewinner und Messiaen-Preisträger und nicht zuletzt der erklärte Lieblingskomponist eines ehemaligen französischen Kulturministers, und selbstverständlich auch von Robert de Niro. So jemand konnte es sich wirklich nicht leisten, auf fremden Grundstücken ertappt zu werden. Und erst recht schien es Janota unmöglich, seine Zeitlöcher-Geschichte zum besten zu geben. Was hätten die Leute vom ihm halten sollen? Ihn für verrückt erklären?
Daß nun genau dies der Fall war, verrückt zu sein, dieser Gedanke war Janota einige Male gekommen. Andererseits war es wohl der beste Beweis für das Fehlen einer Geisteskrankheit, darüber zu sinnieren, ob man denn an einer solchen leide. Geisteskranke taten das nicht. Am ehesten noch jene, die tatsächlich in Kliniken hockten, Ärzte ihrer selbst. Aber sicher nicht jene Millionen, die immer irrten.
Wenn nun also ein regelrechter Wahnsinn ausgeschlossen werden konnte, so blieb noch immer das bedrohliche Faktum einer fixen Idee. Und von einer solchen war Apostolo Janota wahrlich beseelt. Nicht nur, daß er sämtliche Daten der Besitzerin besagten Hauses in Erfahrung brachte und eine Situation inszenierte, die ein Zusammentreffen erzwang, nicht nur, daß er die eher unscheinbare Nora mit Leichtigkeit verführte, er heiratete sie auch noch. Aus dem schlichten Grund, um an das Haus zu kommen. Denn mit einer Nacht in Noras Bett war es nicht getan gewesen. Die Zeitlöcher standen nicht wie offene Türen im Raum. Die Sache erwies sich als komplizierter. Und weil sie das nun war, einerseits, Janota aber andererseits jeglichen Zweifel an der Richtigkeit seiner Berechnungen oder auch der
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