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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Formel verworfen hatte, also unbedingt an die Anhäufung von Zeitlöchern in diesem Gebäude und auf diesem Grundstück glaubte, schien es ihm nötig, so häufig wie nur möglich hier zu sein. So ungestört wie nur denkbar. Und sei es bloß, um per Zufall in eins der Löcher zu geraten. Wohin auch immer selbiges führen würde. Er war zu allem bereit.
    So wie er auch dazu bereit gewesen war, die arme Nora aus dem Haus zu ekeln. Ohne dabei die geringsten Gewissensbisse zu verspüren. Nicht, weil er kein Herz besaß. Aber mit Menschen, die man für längst gestorben hält, geht man natürlich weniger rücksichtsvoll um. Vergleichbar der Entgrätung eines gekochten Fisches. Wer hingegen würde versuchen, dies einem lebenden Fisch anzutun?
    Es war Janota als die eleganteste Form erschienen, Nora mittels absolutem Schweigen den Verstand zu rauben. Daß er sich ein einziges Mal, kurz vor ihrer Hochzeit, dazu verstiegen hatte, ihr indirekt mit Gewalt zu drohen, davon gesprochen hatte, Leute zu kennen, die zu jeder Grausamkeit imstande
seien … Also, erstens kannte er solche Leute nicht und zweitens war es ihm zuwider gewesen, Gewalt ins Spiel zu bringen. Eine Entgleisung, an der in erster Linie Noras Großmutter schuld hatte, Mascha Reti, ein Stück halblebendiger Zeitgeschichte. Er war der Frau, die im Pflegeheim und im Rollstuhl saß, nie begegnet, wußte aber, wie sehr sie ihm mißtraute. Von Anfang an. Die alte Frau hatte ihrer Enkelin dringend von der Heirat abgeraten. Auch schien ihr stets klar gewesen zu sein, daß es in Wirklichkeit um das Haus ging. Und weil nun Nora so gänzlich an ihrer Großmutter hing, war sie unsicher geworden, hatte Janota ersucht, die Hochzeit aufzuschieben. Und da war ihm halt das Mißgeschick unterlaufen, in der derbsten und billigsten Weise damit gedroht zu haben, die beiden verdammten Weiber unter die Erde bringen zu wollen. Und zwar lebendig.
    Bis heute war ihm diese Äußerung peinlich, dieser Einsatz einer Sprache, die er aus zehn Jahren Fernsehen kannte. Die Sprache böser Buben, die ständig ankündigten, irgend jemand den Arsch aufzureißen, Schädel zu Brei zu schlagen, Rasierklingen zu benutzen und so weiter und so fort. Es war ihm peinlich, das schon. Allerdings erreichte er auf diese Weise sein Ziel. Ganz offensichtlich nahm Nora die Warnung für bare Münze. Sie opferte sich und heiratete ihn. Wobei natürlich die meisten Leute der Ansicht waren, daß Nora ein geradezu himmlisches Glück hatte, indem eine Frau wie sie – weder schön noch reich noch ungewöhnlich – einen berühmten und attraktiven Mann zum Gatten bekam.
    Was diese Heirat aber wirklich zur Sensation machte, war der Umstand, daß Robert de Niro extra angeflogen kam. Woraus resultierte, daß die Presse sich kaum um die Ungleichheit von Braut und Bräutigam kümmerte, sondern primär darauf konzentriert war, dem amerikanischen Schauspieler an den Lippen zu hängen. Nicht, daß er irgend etwas sagte. Er war ja nur erschienen, um einen Blumenstrauß abzugeben und eine viertel Stunde mit Janota in einem abgeschlossenen Raum vierhändig Klavier zu spielen. Janota wußte selbst nicht, was das sollte, weshalb dieser de Niro nichts Besseres zu tun hatte, als nach Wien zu fliegen und mit ihm, Janota, ein Stück aus Dvořáks Slawischen Tänzen recht mangelhaft auf die Klaviatur zu bringen. Warum tat er das? Er erklärte sich ja nicht, niemals, sondern verhielt sich in etwa wie eine dieser Mafia-Figuren, die er so glaubhaft darzustellen verstand. Er tauchte einfach auf, forderte sein Recht auf vierhändiges Klavierspielen und verschwand wieder. Mitunter kam es Janota so vor, daß sich auch der gute Robert de Niro auf der Suche nach Zeitlöchern befand. Und dabei ahnte, was es mit seinem Klavierpartner auf sich hatte.
    Lauter Tote? Nein, nicht alle waren tot. Und vielleicht war Mr. de Niro nur darum nach Wien gereist, um nachzusehen, ob Janota bei der Suche nach Zeitlöchern weiter gekommen war als er selbst.
     
    Was dann folgte, gefiel Janota sehr viel besser als jene verbale Ausfälligkeit, mit der er Nora zur Heirat gezwungen hatte. Rigoroses Schweigen war eine effektive und distinguierte Methode, um eine Person in den Wahnsinn zu treiben. Beziehungsweise aus dem Haus. Es war der pure Terror, den er trieb. Wobei das eigentlich Perfide darin bestand, daß niemand es bemerkte. Noras sogenannte Freunde waren viel zu begeistert von der Eloquenz und dem Charme Janotas, als daß sie erkannt hätten, daß seine Frau kein

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