Ein dickes Fell
Sekündchen lang mit diesem Charme und dieser Eloquenz bedacht wurde. Jeder hielt Janota für einen wunderbaren Ehemann. Wohl darum, weil er ein wunderbarer Gastgeber war, der in dem kleinen, engen Häuschen großartige Abendessen zu veranstalten imstande war.
Dieser Irrtum ist einer der gängigsten, daß nämlich ein perfekter Gastgeber und Koch und Unterhalter für einen perfekten Ehemann gehalten wird. Man interpretiert ein gekonnt zubereitetes Sushi als Ausdruck ausgeprägter Liebesfähigkeit. Man glaubt, eine delikate Süßspeise mit einer trainierten Libido gleichsetzen zu können. Ein hübsches Gedeck mit einem Hang zur Zärtlichkeit. Und so weiter.
Nun, das wirklich Perfekte ergab sich aus der zügigen Zerstörung von Noras seelischer Gerade-noch-Balance. Die Seele kippte, fiel um wie eine dieser Leitern, die gegen Obstbäume und Häuserwände und unter Deckenleuchten gestellt, ihren eigentlichen Sinn darin zu finden scheinen, umzufallen. Die Leiter fiel, die Seele fiel, Nora fiel. Und verlor sich in einem Schweigen, das gegen jedermann, sogar ihre Großmutter gerichtet war, sodaß schlußendlich nichts anders übrigblieb, als die Einweisung in eine psychiatrische Klinik zu betreiben. Woraus niemand – außer Mascha Reti natürlich, die mehrmals anrief und wüste Beschimpfungen ausstieß – Janota einen Vorwurf machte. Im Gegenteil. Man bemitleidete ihn, diesen genialen Komponisten, diesen schönen Menschen und geheimnisumwitterten Vierhandpartner Robert de Niros. Man bemitleidete ihn, weil er da in diesem kleinen Häuschen saß, zwischen Straßenlärm und Dschungelgeräuschen, anstatt in einer Villa in Hamburg oder Hollywood. Seine Liebe zu Nora, so dachten die Leute, und sagten es auch, müsse eine unendliche sein.
Er war nun eine ganze Weile bereits alleine in diesem Haus und suchte und suchte. Er wußte ja nicht einmal, in welcher Form sich Zeitlöcher offenbarten, wenn man denn nicht zufälligerweise in eines stolperte, sondern sie zu verifizieren hatte. Bezeichnenderweise gab darüber auch der Autor besagten Buches wenig Auskunft. Blieb schwammig und gleichnishaft.
Gut möglich, daß diese Zeitlöcher winzig klein, an einem bestimmten Punkt im Raum lagen, frei hängend in der Luft, und man sich mit der Fingerspitze voran hineinzwängen mußte. Vielleicht aber war eine bestimmte Geistes- und Körperhaltung vonnöten, und sogleich wurde das Zeitloch in der Art eines offenen Kabinetts sichtbar. Vielleicht bildeten sich diese Pforten zwischen den Astgabeln des alten Obstbaumes oder lagen gleich kleiner Beeren in den Sträuchern verborgen. Was wußte er schon? Er spekulierte und überlegte und experimentierte, robbte in Mondnächten auf allen vieren durch den Garten, grub Löcher im Keller, horchte an den Wänden, steckte seine Finger in allerlei Öffnungen. Erfolglos. Nichtsdestotrotz war er guten Mutes, überzeugt, sich am richtigen Ort zu befinden. Auch kam es nach zehn Jahren auf den einen oder anderen Monat nicht mehr an. Er hatte Zeit, und er hatte – zumindest im Haus – seine Ruhe. Nur hin und wieder wurden ihm die Drohungen Mascha Retis zugetragen. Der Stil dieser Drohungen schien nun verwandelt, weniger emotional als taktisch. Als wäre Frau Reti ein Licht aufgegangen. Aber Janota schüttelte das bißchen Unsicherheit ab. Weshalb sollte er sich vor dieser alten Ziege ängstigen? So robust sie in ihrem Dahinsiechen auch sein mochte. Was würde sie schon unternehmen können, als daß Schicksal ihrer Enkelin zu beklagen und ihm dafür die Schuld zu geben?
Und nun hatte also soeben sein Handy geklingelt und sich die Stimme eines eher älteren Mannes gemeldet, welcher erklärt hatte, Janotas Leben sei in Gefahr. Ernsthaft in Gefahr.
»Wer sind Sie?« hatte Janota gefragt, wie man das in solchen Momenten – zwischen Belustigung und einem Anflug von Schrecken – zu tun pflegt.
»Mein Name würde Ihnen nichts sagen. Also lassen wir das. Es genügt, wenn Sie mir glauben, was ich Ihnen mitteile.«
»Daß mich einer erwürgen möchte, weil meine Musik ihm nicht gefällt?« Noch lag bei Janota die Belustigung an erster Stelle.
»Da ist jemand ganz und gar nicht einverstanden, wie Sie Ihre Ehefrau abserviert haben.«
»Was soll das!« wurde Janota laut. »Ich lege jetzt auf.«
»Mascha Reti«, sagte die Stimme, wie man sagt: Manche Hunde, die bellen, beißen auch.
»Was ist mit Mascha Reti?« fragte Janota, noch immer laut. Er war wütend. Wütend, weil er dieses Gespräch nicht
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