Ein dickes Fell
Gitterzaun, der nach vorne hin von fleckigen, fingerbreit auseinanderstehenden Holzlatten verstärkt wurde. Davor lärmte der Verkehr einer stark befahrenen Straße. Wogegen sich auf der Rückseite ein dschungelartiges Gelände ausbreitete, dessen verwilderter Zustand einem Rechtsstreit zwischen der Gemeinde und einem Grafen zu verdanken war. Jedenfalls hätte man in diesem »Wäldchen« winterfeste Krokodile züchten können.
So schäbig das alles klingt, so schäbig war es auch, obgleich einige der Besitzer dieser zwischen Straße und Urwald gelegenen Zeile aus Garten- und Familienhäusern sich bemüht hatten, schmückend einzugreifen. Aber jeder Schmuck verlor hier rasch seine Frische und Funktion. Der Dreck der Straße und des Dschungels legte sich über die Dinge, graute sie ein. Kein Gartenzwerg hielt das lange durch, so strahlend rot konnte sein Mützchen gar nicht sein.
Mit Noras Haus war es genauso wie mit den Villen in allerbester Gegend. Derartige Immobilien erstand man nicht, man erbte sie.
Naturgemäß besteht der Sinn jeden Erbes darin, ein Leben lang an den Erblasser erinnert zu werden. Weshalb nicht wenige der solcherart Begünstigten zusehen, das Ererbte raschest zu veräußern. Eine Frage der Not, eben nicht nur der finanziellen. Allerdings ist manches Erbe schwer an den Mann zu bringen. Etwa Schulden. Oder gefälschte Rembrandts. Oder ein schlechter Ruf. Oder eben so ein Häuschen in unmittelbarer Nähe einer Zubringerstraße und eines Geländes, dessen wahre Besitzverhältnisse in den Sternen stehen. Wer wollte so etwas kaufen? Ein Haus wie auf einer Kinderzeichnung? Einer lieblosen dazu.
Dennoch hatte Nora eine Annonce aufgegeben. Freilich waren die Angebote unverschämt gewesen. Unmöglich, eines davon auch nur in Betracht zu ziehen. Da sich Nora aber erst recht kein unbewohntes Haus leisten konnte, hatte sie ihre kleine Mietwohnung aufgegeben und war in ihr Erbe eingezogen. Die alte Geschichte. Man sieht die Scheiße, aber es nutzt nichts, man steigt hinein.
Vom ersten Moment an, da Nora auch nur in die Nähe des Grundstücks gelangt war, hatte sie das künftige Unglück vernommen gleich einem durchdringenden Schrei. Und dennoch war sie hineingetappt. Nicht ohne sich zu denken, was für eine blöde Kuh sie sei. Und daß sie sich ja gleich zu ihren Eltern ins Grab hätte legen können.
Dieses Unglück aber – das sich zunächst in einer massiven Schwermut Noras als auch in diversen Wasserrohrbrüchen und ähnlichem manifestierte – war es natürlich nicht, was Apostolo Janota an dem gammeligen Häuschen interessierte. Das Schicksal dieser Frau war ihm schnuppe. Die ganze Frau, jede Frau, der er in den zehn Jahren begegnet war. Lauter Tote. Nein, er dachte noch immer an seine Verlobte, die er eigentlich nie wirklich geliebt hatte, sondern das Verhältnis aus rein pragmatischen Gründen eingegangen war. Mit der Distanz aber war die Liebe gekommen. Die Liebe zu einem Menschen, der noch lebte, in einer Zukunft lebte, die für Janota die einzig echte Gegenwart blieb. Die Liebe zu seiner Verlobten entsprach der Liebe zum Leben. Und etwas Schöneres kann man einem Begehren eigentlich nicht nachsagen. Auch wenn dieses Begehren dem Stolpern in ein Zeitloch zu verdanken war, einem Mißgeschick also. Aber wann ist es anders? Liebe ist die Reaktion auf einen Notfall.
Und Aberglaube ist die Reaktion auf eine hoffnungslose Situation.
Es begann damit, daß Apostolo Janota ein Buch in die Hand fiel. Womit es ja meistens anfängt, mit einem Buch. Jedenfalls kann man sagen, daß es sich um ein Machwerk handelte, dessen Autor behauptete, ein Zeitreisender zu sein.
Nicht, daß Janota das Machwerkartige des Stils übersehen hätte, die Hokuspokus-Allüre des posierenden Sachbuchautors. Andererseits entsprach die Beschreibung vom Durchqueren eines Zeitlochs, eines Tunnels oder Kanals, so sehr dem, was Janota persönlich widerfahren war, daß eine tiefe Bestürzung ihn erfaßte. Sowie ein Funke der Hoffnung. So armselig die Sprache des Autors auch sein mochte, die Erwähnung der einzelnen Körperreaktionen – das Getrommel im Magen, das Gefühl schrumpfender Organe, die unverständliche Telefonstimme im Kopf – entsprach auf den Punkt genau Janotas Erleben. Welches er präzise in Erinnerung hatte. Etwas Derartiges vergißt man nicht.
Bei allem Widerwillen gegen den Autor – ganz offenkundig einer dieser karikativen Sektenführer –, konnte Janota nicht anders, als eine Wahrheit in diesem Buch zu
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