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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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der aber, in eine Werbung eingebettet, den Eindruck eines schwebenden Prinzen vermittelte. Und welcher ja trotzdem der gleiche war, wenn schon nicht derselbe: vom Stotterer zur Fabelfigur.
    In der Werbung herrschten die besseren Verhältnisse. Und man konnte also diesbezüglich sagen, daß nicht zu viel Werbung die Fernsehkanäle durchströmte, sondern viel zuwenig. Im Grunde hätte es umgekehrt sein sollen, und all die elendiglichen Talk-Shows und Blödelsendungen und Nachrichten und Sportübertragungen hätten als Pause zwischen den Werbeblöcken dienen müssen. Man hätte sich dann wenigstens keine Gedanken über den schlechten Einfluß des Fernsehens auf die Kinderpsyche machen müssen.
    Nun, dies mochte in der fernen Welt des Herrn Apostolo Janota der Fall sein, nicht aber in der Wirklichkeit von Leuten, die zwar – nach Janotas Anschauung – längst tot waren, aber selbst das noch erst einmal hinter sich bringen mußten.
     
    Armbruster hatte die Dose halb geleert, als die strahlende Welt der Werbung am Horizont eines dunklen Meers unterging und ein symphonisches Geplärr die Nachrichten vom Tage einläutete. Sprecher und Sprecherin kamen ins Bild, als hätte eine Kuh zwei herausgeputzte Kälbchen direkt in dieses Fernsehstudio hineingeboren. Die beiden Kälbchen lächelten großäugig, grüßten höflich mit langen Wimpern, wechselten dann aber zu einem Blick der Besorgnis.
    Was war geschehen?
    Nun, ein Haus war explodiert, und zwar nicht etwa in Gaza, Bagdad oder Jarkata, was ja keine besorgten Blicke gerechtfertigt hätte, sondern mitten in Wien. Wobei freilich ein Attentat so ziemlich ausgeschlossen werden konnte. Es handelte sich um ein simples Wohnhaus in einer simplen Gegend. Keine jüdische Einrichtung weit und breit. Auch sonst nichts. Sehr wahrscheinlich war Gas im Spiel. Eine lecke Leitung oder ein Selbstmord, der sich über das rein Persönliche hinaus entwickelt hatte. Das war nichts Neues. Gerade Selbstmörder erwiesen sich immer wieder als unvorbereitet und laienhaft, als wäre nicht gerade der Suizid ein Akt, welcher Bildung, Anstand und Übung voraussetzt.
    Wie auch immer. Das Haus war vollständig eingestürzt und hatte Einwohner unter sich begraben. Erste Rettungsmannschaften waren eingetroffen, wenngleich, wie üblich, erst im Kielwasser erster Fernsehteams. Die Rasanz der Medien schien so gesetzmäßig wie die Schwerfälligkeit Erster Hilfe. Im übrigen hatten sich bereits mehrere wichtige Persönlichkeiten vor dem abgesperrten Trümmerhaufen versammelt, vom Bürgermeister abwärts. Interviews wurden gegeben, Vergleiche bemüht, Hoffnung gespendet. Und dann wurde – wahrscheinlich bereits zum zweiten oder dritten Mal – der Name der betroffenen Straße genannt, sowie auch die Nummer des Hauses.
    Und jetzt horchte Armbruster endlich auf. Natürlich! Er kannte die Straße, kannte die Nummer. Und wie er sie kannte. Es handelte sich um das Haus, in das Lyssa vor einigen Monaten gezogen war, um die Zeit zu überbrücken, die es dauern würde, bis die Formalitäten ausgehandelt waren und sie in herrschaftliche Verhältnisse würde wechseln können.
    Von dieser Wohnung aus hatte sie ihre Scheidungsattacke geritten. Diese Straße und diese Hausnummer waren für Clemens Armbruster der Ort gewesen, an dem seine kriegsführende Frau ihr Hauptquartier, ihre Kommandostelle errichtet hatte. Ihren Todesstern.
    Und nun war dieser Todesstern im Zuge irgendeiner typischen oder untypischen Todessternkatastrophe in Schutt und Asche gelegt worden. Und Lyssa? Was war mit Lyssa? Der Berichterstatter vom Unglücksort konnte nicht sagen, wie viele Menschen vermißt wurden. Zwei Tote waren geborgen worden, eine Familie befand sich mit Sicherheit auf Urlaub, und ein alleinstehender Pensionist war in der rettenden Hülle seines Stammwirtshauses geortet worden. Über den Rest der Bewohner jedoch herrschte Unklarheit. Da die Explosion gegen sieben Uhr abends erfolgt war, mußte das Schlimmste befürchtet werden. Fünf Stockwerke waren zur Gänze in sich zusammengebrochen.
     
    Es gibt Gefühle, die man sich beim besten Willen nicht eingestehen kann, die man aber beim besten Willen auch nicht loszuwerden vermag.
    Ein solches Gefühl klopfte bei Armbruster an. Ein Gefühl der Euphorie angesichts der Möglichkeit, daß unter diesem Schutt der leblose Körper seiner Frau lag und sich solcherart alles in der vornehmsten Weise erledigt hatte. Vornehm, weil ohne eigenes Handeln. Allein die günstigen Zugriffe des

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