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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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schneller tot, als sie denken konnte. Sie war schneller tot, als sie sich hätte träumen lassen.
    Und auch als Armbruster es sich hätte träumen lassen. Er war erstaunt und erleichtert. Er hatte bisher stets vermutet, daß die Tötung eines Menschen erhebliche Arbeit verursachte, daß man gezwungen war, ewig lange zu würgen oder zu stechen oder zu schlagen, und sich ewig lange ein Jammern und Flehen anhören mußte. Und daß man dabei dreckig wurde, innerlich wie äußerlich, wobei die innerliche Verschmutzung dazu führte, daß man schlußendlich mit aller Verzweiflung, aber eben auch mit aller Brutalität den endgültigen Tod seines Gegenübers herbeiführte. Dreißig Messerstiche mußten nicht immer auf Raserei zurückzuführen sein, sondern konnten auch heißen, daß das Opfer selbst nach zwanzig Stichen noch zurückgeredet hatte.
    Doch wie unkompliziert erwies sich diese eine Wirklichkeit. Die Tötung Lyssas war mit einer Einfachheit erfolgt, mit der man ein Gerät ausschaltet. Oder mit der man sagt Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen. Ein Schlag. Ein Loch. Perfektes Golf. Nicht mehr, nicht weniger.
    Freilich war die Sache damit nicht erledigt. Im Gegenteil. So schnell der Tod auch eingetreten war, diese gewisse opulente Präsenz der Leiche würde sich nicht so einfach in Luft auflösen.
    Als erstes nahm Armbruster seiner Frau – und seine Frau, seine Gattin würde sie nun bis in alle Ewigkeit bleiben –, nahm ihr also die Zigarette aus der Hand, die ja noch immer glimmte und die sich erstaunlicherweise noch immer zwischen den erstarrten Fingern befand. Zu überraschend war das Ende gekommen. Zu sehr war alles Körperliche und Geistige Lyssa Hillers auf den nächsten Zigarettenzug ausgerichtet gewesen.
    Ein wenig pervers wirkte es schon, daß Clemens Armbruster nun die Kippe ausgerechnet in jenem Aschenbecher ausdrückte, mit dem er auch das Leben seiner größten Feindin ausgedrückt hatte. Aber so waren die Dinge nun mal. Alles und jedes hing miteinander zusammen. Hätte man nur genau genug hingesehen, nur lange genug nachgeforscht, hätte man diesen einen Aschenbecher mit einem jeden anderen Verbrechen in der Welt in Verbindung bringen können. Freilich reichte es, sich zunächst einmal auf dieses eine, augenscheinliche Delikt zu konzentrieren.
    Eine Weile überlegte Clemens Armbruster, während er sein Opfer wie ein Möbel umschritt. Ein Möbel, das es anzupacken galt. All diese Sofas und Schränke und Kommoden und eben toten Frauen, die so zwischen fünfzig und siebzig Kilogramm wiegen.
    Armbruster atmete tief durch, ging in die Knie, griff rechts und links unter die Achseln der Toten, hob den Körper an und beförderte ihn in den schwarzen Ledersessel. Glücklicherweise gehörte Lyssa zu den eher leichtgewichtigen Exemplaren ihrer Altersklasse. So betrachtet erwies sich ihre Kettenraucherei nun als ein großes Glück.
    Weniger als Glück empfand Armbruster die Notwendigkeit, in ein enges körperliches Verhältnis zu dem Leichnam eintreten zu müssen. Aber anders ging es nun mal nicht. Er beugte sich vor, umfaßte die Hüften, drückte seinen Kopf seitlich gegen die Taille und schwang vor und zurück, sodaß mit einer Pendelbewegung Lyssas Oberkörper auf seine rechte Schulter fiel. In dieser Stellung stemmte Armbruster den Leib – der sich nicht steif anfühlte, sondern an die träge Masse nasser Wäsche erinnerte – in die Höhe, verbesserte noch ein wenig die Lage und begab sich sodann mit seiner Last in den Flur.
    Da er nun weder imstande war, sein Ohr an die Wohnungstüre zu halten und nach einem Geräusch im Treppenhaus zu horchen, andererseits aber auch nicht ewig lange diese Leiche auf seiner Schulter lagern konnte, öffnete er ohne weitere Vorsicht die Türe und trat nach draußen.
    Nun, es war um diese Uhrzeit kein Wunder, daß Armbruster ungehindert und ungesehen ins Freie gelangen konnte. Und da es sich um eine reine Wohngegend handelte, eine dieser vornehmen, ruhigen, gegen Weinberge gelehnten Straßen Wiens, und zudem die Dunkelheit unterstützend wirkte, schaffte es Armbruster, von niemand bemerkt, Lyssas Wagen zu entdecken, welcher typischerweise schräg aus einer Lücke herausstand. Sodaß allein dieser Wagen und seine playboyartige Parkierung sich eignete, von einem Zeugen später beschrieben zu werden.
    Armbruster hatte nun alle Mühe, seine tote Frau auf der Motorhaube ihres kleinen französischen Sportwagens abzulegen, ohne dabei Lärm oder eine Delle in der

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