Ein dickes Fell
wollte. Weil er es für gut und richtig hielt und es sein Gewissen beruhigte. Bezüglich Lydia aber, nein Lyssa, gab es nichts außer ihrem Verschwinden, oder noch besser ihrer Vernichtung, was ihn beruhigt hätte.
Ein wenig war dies vergleichbar dem Verhältnis von Oberstleutnant Straka zu seiner ersten Frau, wobei der Haß zwischen Clemens und Lyssa nicht ganz so tief ging. Erstens, weil Kinder fehlten, um die man kämpfen konnte, bis aufs Blut, auch aufs Blut der Kinder, und zweitens, da Lyssa niemals etwas unternommen hatte, um nach außen hin anders dazustehen als in der Folterkammer familiärer Abgeschlossenheit. Sie war ein Aas und zeigte es auch. Immer und überall. Es schien für sie absolut keinen Wert zu besitzen, daß jemand sie irrtümlich für nett halten könnte.
So gesehen ersparte sich Clemens zumindest jene Wut, die Straka angesichts des grandiosen Mutter-Theaters seiner ersten Frau empfunden hatte. Andererseits bestand ein Unterschied natürlich auch darin, daß Strakas Ex-Frau eine katastrophale Niederlage hatte hinnehmen müssen, indem ihr Mann sich eine tödlich junge und auch noch ziemlich attraktive Frau angelacht hatte. Eine Frau, die nicht einmal Geld nötig hatte und der man keine wie immer geartete Hurerei vorwerfen konnte. Deren Jugend sich folglich durch so gut wie gar nichts schmälern oder dividieren oder zerstückeln ließ. Darum also die Erniedrigung der ehemaligen Frau Straka durch den Auftritt der neuen Frau Straka. Ein Aspekt – Jugend dominiert Alter –, dessen Wirksamkeit daher kam, daß nicht die neue Frau Straka an ihn glaubte, sondern die alte Frau Straka.
Lyssa Hiller hingegen hatte weder Probleme damit, zweiundvierzig Jahre zu zählen, noch wäre sie beeindruckt gewesen, wenn ihr Mann sich eine Liebhaberin gleich welchen Alters genommen hätte. Im Gegenteil. Ihre Karten punkto Abfindung wären so noch besser gewesen, als sie es ohnehin waren. Die Sache mit der Albatrosvilla entwickelte sich gut. Clemens würde dieses wunderbare Gebäude, diese Architekturnovität samt famosem Ausblick opfern müssen. Und einiges mehr. Lyssa würde ihn dafür bluten lassen, daß er sie – wie das eigentlich immer nur Männern erging – eines Abends aus der Wohnung geworfen hatte. Sodaß sie dann mit einem Koffer auf der Straße gestanden war und bei einer Freundin hatte unterkommen müssen. Darin bestand die Schmach, die es zu tilgen galt.
Clemens Armbruster verstaute also sein Jackett hinter der Flurwand, warf einen liebevollen Blick auf seinen museumsreifen Stahlrohrsessel und betrat den hohen Hauptraum seiner nüchtern eingerichteten Altbauwohnung, aus der er alles entfernt hatte, was von Lyssa im Laufe der Jahre herangekarrt worden war. Selbiges Zeug, englischer Landhausstil, auch Selbstbemaltes, lagerte jetzt in einem eigens angemieteten Magazin, sodaß viel freier Platz entstanden war, den Armbruster nicht wieder zugestellt hatte. Er genoß die Leere, weniger da dies einem zeitgenössischen Schick entsprach, sondern weil er nach einem Tag harter Arbeit einfach seine Ruhe haben wollte. Somit nicht weiter belästigt werden wollte von noch so gelungenen Gemälden und noch so formschönen Sofas. Statt dessen holte er sich eine Dose Bier aus der Küche, nahm in dem einzigen Sessel des Wohnzimmers Platz, einem in keiner Weise auffälligen schwarzen, von einer längst toten Katze zerkratzten Ledermöbel, griff nach einer Funksteuerung, die wie eine plattgewalzte Comicfigur in seiner Hand lag, und schaltete den Fernseher ein, auch dieser plattgewalzt, ein zu einer rechteckigen Fläche komprimierter Titan. Die Größe des Monitors entsprach der Leere des Raums, vergrößerte das Nichts und bebilderte es gleichzeitig.
Ein Werbeblock lief, der den Abendnachrichten vorgelagert war wie ein freundliches Märchen. Soviel auch über die Werbung geschimpft wurde, muß natürlich gesagt werden, daß das wenigstens eine gute Welt war, die sich hier offenbarte. Eine Welt, in der man noch lachte und liebte, und der Geschmack eines Joghurts oder der Anblick reiner Wäsche geeignet waren, den Tag zu versüßen. Die Werbung mochte ja voll von Lügen sein, voll von unerreichbaren Idealbildern, von faltenlosen Gesichtern und blitzblanken Karosserien, aber mal ehrlich, war es nicht eine Freude, diese Gesichter und diese Karosserien zu betrachten, die Eleganz etwa des Präsidenten eines Fußballvereins, den man ansonsten nur als debilen, völlig uneleganten, geradezu ungeschlachten Stotterer kannte,
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