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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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diesem Tag in der Albertina war. Warum auch sollte sie das leugnen wollen?«
    »Ja, das wird nicht leicht werden«, stimmte Straka zu. Dann schüttelte er amüsiert den Kopf und meinte, es sei schon ein starkes Stück, sich diese Frau Gemini als eine Killerin vorzustellen. Freilich beantworte das nicht die Frage, warum der norwegische Botschafter in Dänemark nicht in Dänemark, sondern in Wien habe sterben müssen. Und wieso überhaupt. Und welche Rolle Frau Gude dabei zugefallen sei. Die Tatsache, daß Magda Gude auf Carl aufgepaßt und später veranlaßt habe, daß Anna Gemini ungehindert und ungeprüft das Gebäude verlassen konnte, könne vieles bedeuten. Vielleicht aber auch nur, wie absurd mancher Zufall ist.
    »Ja«, sagte Cheng, »darauf wird es wohl hinauslaufen. Beweisen zu können, daß sich Anna Gemini und die Frau des Botschafters kannten. Daß zumindest eine Abmachung bestand, welche die beiden verbunden hat.«
    »In dieser Hinsicht wären unsere Jobs verwandt, nicht wahr?«
    »Bedingt. Sie müssen einem Gesetz zu seinem Recht verhelfen, welches vermeiden soll, daß jeder nach Lust und Laune Morde anordnet oder Morde begeht, unabhängig davon, wie gewinnend ein Täter und wie abstoßend ein Opfer mitunter sein mögen. Ich aber muß kein Gesetz vertreten. Nur meinen Kunden.«
    »Unsinn, Cheng, Sie hatten schon immer das Herz eines Priesters, der sich um alles und jeden kümmert. Aber lassen wir das. Jedem sein Spielchen. – Begleiten Sie mich?«
    »Wohin?«
    »Zu Anna Gemini natürlich. Da wären jetzt einige Fragen zu stellen. Ich fände es gut, wenn Sie dabeisein könnten.«
    »Keine Zeit«, sagte Cheng. »Da ist noch ein Termin, den ich einhalten muß.«
    »Was für ein …?«
    »Bitte!«
    »Natürlich.« Straka hob entschuldigend seine Hände. Dann gab er dem Kellner ein Zeichen und beglich die Rechnung.
    Die beiden Männer standen auf und bewegten sich synchron nach draußen. Zwei Spielfiguren, die gleichzeitig gezogen wurden.
    Draußen wartete der Winter.

26 Was für ein Glück!
    Clemens Armbrusters Arbeitstag ging zu Ende. Einer von diesen Tagen, die trotz Geschäftsabschlüssen das hinterließen, was gerne als bitterer Nachgeschmack bezeichnet wird.
    Die Art Nachgeschmack, die man das erste Mal empfindet, wenn man eine fremde Hand berührt und sodann eine Erwiderung der eigenen Gefühle wahrnimmt. Das ist natürlich an und für sich genau das, was man sich als junger Mensch erhofft. Andererseits ergibt sich unwillkürlich jener bittere Nachgeschmack. Man entwickelt eine Ahnung, eine schlimme dazu.
    Es gibt den Begriff des Bittersüßen, ausgehend von einer Pflanzenrinde, die zunächst bitter schmeckt, mit fortschreitendem Gekaue jedoch zum Süßlichen hin wechselt. Im Leben der Menschen hingegen ist es zumeist umgekehrt. Die Entwicklung vom Süßen zum Bitteren dominiert. Und dies merkt der jugendliche Gefühlsmensch, der da eine Hand in der seinen hält, vor Glück geradezu überschäumt, nichtsdestotrotz einen Stich verspürt, dieses Vorgefühl üblen Achselgeruchs oder eines unterbrochenen Koitus oder – vielleicht noch schlimmer – beendeten Koitus, diese Vorausschau maßloser Forderungen, endlosen Gejammers, umfassender Komplikation. Weshalb ja auch für die Dinge des Lebens, erst recht des Liebeslebens, der sprechende Name jenes Nachtschattengewächses mit bittersüßer Rinde so gar nicht paßt, nämlich Jelängerjelieber. Im Menschenleben hingegen drängt sich ein Jekürzerjebesser auf.
    Doch was ist schon kurz im Menschenleben? Schon gar nicht ein Arbeitstag, der mit einer Menge schrecklicher Leute zugebracht werden muß. Leute, die einem Geschichten erzählen, die sie selbst nicht glauben, aber impertinenterweise meinen, die anderen müßten sie glauben. Geschichten von Werten, die nicht bestehen, und von Beständen, die nichts wert sind. Geschichten von Immobilien, die als traumhafte Palais beschrieben werden, obwohl eine jede Hundehütte mehr Charme besitzt. Geschichten von …
    Aber natürlich: Alles geht vorbei. Auch Arbeitstage. Das ist so banal wie tröstlich.
    Clemens Armbruster kam zu Hause an, hängte sein Jackett über einen metallenen Bügel und plazierte es in einem Schrank, der kein Schrank war, zumindest kaum als solcher auffiel, weil er einen Teil der Wand und damit des Flurs bildete. Eines Flurs, der außer diesem beinahe unsichtbaren Schrank so gut wie leer war, nur noch aus windbeutelgroßen, in den Plafond gefügten Leuchten bestand, die je einen Kreis von Licht

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