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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Karosserie zu verursachen. Noch schlimmer war freilich die Einsicht, daß der Wagenschlüssel fehlte, ganz einfach, weil auch Lyssas Pelzmantel fehlte. Selbiger befand sich ja noch immer im Zustand achtlosen Hingeworfenseins auf jenem wertvollen Stahlrohrsessel. Es blieb Clemens Armbruster also gar nichts anderes übrig, als Lyssa auf der Motorhaube zu belassen und sich wieder zurück zum Haus und in die Wohnung zu begeben. Was er nun auch tat, sich einen Laufschritt untersagte und statt dessen mit erzwungener Ruhe das weiterhin leere Treppenhaus nach oben stieg. Immerhin durfte er feststellen, daß der Wagenschlüssel tatsächlich im Pelzmantel steckte.
    Als er nun mit dem Nerz unterm Arm wieder nach unten ging, kam ihm eine der Nachbarinnen entgegen. Eine Frau Professor Sowieso. Armbruster fühlte sich außerstande, sie auseinanderzuhalten, all diese Professorenwitwen im Haus. Durchgehend Musikfanatikerinnen und naturgemäß schwerhörig.
    Dem gelösten, freundlichen Blick nach zu urteilen, war es der Frau Professor erspart geblieben, einen unsauber geparkten, dubios dekorierten Sportwagen bemerkt zu haben. Sie grüßte Clemens Armbruster in gewohnter Weise. Ob ihr der Pelzmantel aufgefallen war, blieb unklar. Sie gehörte zu diesen sehr feinen, alten Damen, denen man zwischen Altersdemenz und hinterlistiger Allwissenheit so ziemlich alles zutrauen konnte. Mascha-Reti-Typen. Vielleicht lieb vertrottelt und völlig harmlos, möglicherweise aber äußerst gefährlich.
    Wenigstens war die Straße noch immer menschenleer, als Armbruster den kleinen, flachen Citroën erreichte, den er Lyssa zur Hochzeit geschenkt hatte. Hinter den hohen Bäumen der Vorgärten und den hohen Scheiben der mehrstöckigen Villen flimmerten Fernsehgeräte und strahlten Luster. Ein leiser Wind sang. Das war es auch schon.
    Armbruster öffnete die Wagentüre, hob Lyssa von der Motorhaube und beförderte sie auf den Nebensitz, was aussah, als stopfe er ein überdimensionales Stofftier in eine Waschmaschine. Nachdem er die Tote angegurtet und den Kopf mit einem Tuch an der Nackenstütze fixiert hatte, setzte er sich hinter das Steuer, startete den Wagen und lenkte ihn mit gemächlicher Fahrt aus der halben Parklücke heraus.
    Soweit war alles sehr viel besser gelaufen, als zu hoffen gewesen war. Armbruster geriet in den abendlichen Verkehr, der sich von den ersten Flocken noch unberührt zeigte. Nach einer viertel Stunde erreichte er das untere Ende jener Straße, in der das explodierte Haus lag. Armbruster erkannte von fern das nervöse Geblinke diverser Blaulichter. Die zur Seite gedrängte Menschenmenge bildete einen vom Schnee angezuckerten Felsen. Feuerwehrleitern stachen in den erhellten Nachthimmel. Die Luft vibrierte vor Aufregung.
    Bevor Armbruster an eine Absperrung geriet und einem Polizisten hätte auffallen können, bog er ab. Ein solcher Citroën, flach und schwarzweiß und rar, war alles andere als eine gute Tarnung. Armbruster suchte und fand einen Parkplatz, der in plausibler Nähe zu Lyssas Wohnhaus lag, freilich nicht so nahe, daß es ein leichtes gewesen wäre, den Leichnam an den Ort seiner Bestimmung zu transportieren.
    Armbruster ließ Lyssa zunächst einmal im Wagen, um die Situation auszukundschaften. Welche sich als gar nicht so ungünstig erwies. Zwar lag der pyramidal aufsteigende Trümmerhaufen des zerstörten Eckhauses im gleißenden Schein zahlreicher Scheinwerfer, doch blieb eine der vier Seiten, und zwar genau jene, die der Hügelbildung wegen wenigstens teilweise eingeschattet war, von den Rettungsmaßnahmen ausgespart. Aus welchen Gründen auch immer. Jedenfalls arbeiteten sich die Hilfsmannschaften von zwei Seiten her durch den Schutt. Und zwar mit aller Vorsicht. Bagger und Kräne standen bereit, wurden aber nicht eingesetzt, da man den Einbruch eventuell lebensrettender Hohlräume befürchtete. Zur ehemaligen Vorderseite des Gebäudes hin hatte sich das Publikum versammelt, auch die Fernsehteams, sowie die erschütterte, aber nicht sprachlose städtische Politprominenz. Das Bellen der Hunde überlagerte jedes andere Geräusch.
    Jene vom Schatten verdunkelte Seite war von einer einzigen kleinen Gasse zu erreichen, die mittels einer Polizeisperre abgeriegelt worden war. Einer Polizeisperre ohne Polizei, wie gesagt werden muß. Offensichtlich hielt man es nicht für notwendig, die brusthohe Barriere zu bewachen. Zu Recht, wie es schien. Denn kein einziger Passant stand vor diesem Gitter, das bereits fünfzig

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