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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Immerhin war ein Haus explodiert und noch immer unklar – wenn man der Presse glauben durfte –, wer oder was daran schuld trug.
    Die Sache lag erst drei Tage zurück. Die ersten beiden davon war Armbruster im Krankenhaus gelegen, und auch nur deshalb, um psychologisch betreut zu werden. Körperlich gesehen war kaum etwas zu tun gewesen. Jene hölzerne Platte, unter der Armbruster eingeklemmt gewesen war – es handelte sich, man mochte es kaum glauben, um die Türe eines IKEA-Kleiderschrankes –, hatte ihm einen derart perfekten Schutz geboten, daß die Rettungsmannschaft, die nur eine viertel Stunde später zu ihm vorgedrungen war, einen vollkommen unverletzten Mann hatte bergen können. Wozu natürlich auch der Leichnam Lydia Hillers beigetragen hatte, der wirksam wie ein Sprungtuch gewesen war. Aber so konnte und wollte das niemand sagen, während jedoch der Umstand einer rettenden IKEA-Türe allerorten publiziert und kommentiert wurde und dem Einrichtungshaus eine so kostenlose wie unbezahlbare Werbung garantierte. Die Schweden waren wirklich die Glücklichen in dieser Geschichte, konnten pietätvoll den eigenen Mund halten, während sie umgekehrt in aller Munde waren.
    Armbruster aber galt trotz seiner wundersamen Rettung keineswegs als glücklicher Mann. Denn entgegen dem offenkundigen und vielzitierten Antrieb, seine Frau zu schützen, hatte sie ja nicht überlebt, sondern bloß er selbst. Das war ein Faktum, das von den Medien als wahre Tragödie begriffen wurde. Daß Armbruster und seine Frau in Scheidung gelebt hatten, blieb dabei unerwähnt. Schien ohne Bedeutung. Der Versuch, die eigene Frau zu retten, und der Versuch, sich von ihr scheiden zu lassen, stellten in den Augen der Presse zwei völlig unterschiedliche Dinge dar. Und das waren sie ja auch.
    »Kommen Sie bitte!« sagte ein junger Mann, der allein mit Kopf und Oberkörper sich aus einer Türe beugte, die jene Wand unterbrach, gegen die Armbruster seinen Kopf gestützt hatte.
    Armbruster erhob sich und folgte der Einladung.
    Als er den Raum betrat, verließ der junge Mensch, der ihn gerufen hatte, selbigen durch eine weitere Türe. Zurück blieben zwei Männer, die wohl Armbrusters Generation entstammten, vielleicht auch eine Spur älter waren. Leute, die halt auf die eine oder andere Weise den Fünfziger im Blick hatten. Wie so einen Pigmentfleck, der dies oder das bedeuten kann. Eher das.
    Der eine von den beiden saß vor einem riesenhaften, mit einem schweren goldenen Rahmen versehenen Gemälde, auf dem eine Steinigung dargestellt war. Was so merkwürdig anmutete wie die ganze Architektur dieser polizeilichen Einrichtung.
    Nun, Armbruster konnte nicht wissen, daß vor Ort nicht nur eine Kriminalabteilung untergebracht war, sondern auch Lager- und Arbeitsräume der Österreichischen Galerie, und daß es sich bei dem Bild, unter dem der eine der beiden Polizisten saß, um ein Gemälde des Barockkünstlers Paul Troger handelte, das die Steinigung des heiligen Stephanus zeigte.
    Der ganze fensterlose, mit einem gelblichen Anstrich versehene Raum wirkte trotz seiner Größe und der schon im Flur angekündigten ungewöhnlichen Höhe beengend. Vielleicht deshalb, weil es so ziemlich an halbwegs frischer Luft fehlte. Es atmete sich, gelinde gesagt, umständlich. Als könne man nicht einfach gerade ein- und ausatmen, sondern nur an Hindernissen vorbei. Die warme Luft war wie einer dieser ungemein dummen Parcours, über die man Pferde jagt, die dann zu allem Überfluß auch noch irgendein lächerlich kostümiertes Männlein oder Weiblein tragen müssen. Eine solche Parcours-Luft zu atmen, war alles andere als ein Vergnügen.
    Das wußte scheinbar auch der sitzende Beamte, der sich jetzt bei Armbruster entschuldigte … na, wie sich halt Beamte entschuldigen: »Wir haben ein Problem mit der Heizung. Sie können also froh sein, nicht den ganzen Tag hier sitzen zu müssen. Oder?«
    Armbruster überlegte, daß nun wohl das aus Filmen bekannte Spiel des guten und des bösen Polizisten folgte. Aber er irrte sich. Ein solches Spiel blieb aus. Vielleicht genau darum, weil diese zwei Kriminalpolizisten keine Lust hatten, die Erwartungen eines Laien zu erfüllen.
    »Ich bin Richard Lukastik«, stellte sich der Sitzende vor. Er wirkte um eine Spur frischer, gesünder und erfolgreicher als sein Kollege. Vielleicht auch nur, weil er saß und im Sitzen ein jeder Mensch, noch der würdeloseste, an Würde gewinnt.
    Nun, die Wirklichkeit sah anders aus. Lukastik

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