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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Meter vor dem eigentlichen Unglücksort installiert worden war. Auch blieben die Fenster der umliegenden Wohnhäuser verschlossen. Die Bilder im Fernsehen waren wohl die besseren. Heftiger Schneefall hatte eingesetzt und schränkte die natürliche Sicht deutlich ein.
    Und genau darin lag Armbrusters Chance. In diesem Schneefall, der wie gerufen kam. Wie gewollt. Wie von einem Wettergott gesandt. Einem Meister des Schnees. Einem Weltenlenker, der Mörder schützte.
    Jedenfalls wollte Armbruster den Schneefall, der nun eine diagonale, peitschenartig zuckende Formation gebildet hatte – ein Heer kleiner Messer –, unbedingt nutzen und lief zurück zu Lyssas Citroën. Auf dem Weg dorthin nahm er einen metallenen Einkaufswagen, der herrenlos am Straßenrand stand. In diese Gitterkonstruktion beförderte Armbruster den toten Körper seiner Frau und deckte ihn mit einer Kunststoffplane ab, die er in einer Tonne gefunden hatte. Den Pelzmantel ließ er im Auto, vergaß aber nicht, nachdem er den Wagen abgesperrt hatte, die Schlüssel in eine von Lyssas Taschen zu schieben. Dann brachte er den Einkaufswagen in Schwung und bewegte ihn hinüber zur Absperrung. Die zwei, drei Leute, die ihm dabei begegneten, würden kaum ein Problem darstellen. Der Schnee verwandelte die Welt in ein unklares Bild, wie man es von defekten Fernsehgeräten, rotierenden Waschtrommeln, Propellern und Ventilatoren, von Kettenkarussells und von den winzig kleinen Handschriften weitabgewandter Denker kannte. Ein Flirren und Zittern und tausendfaches Gebrösel, als zerfalle der Himmel in Myriaden kleiner Teile. Und durch diese rauschende Interferenz hindurch, dirigierte Armbruster seinen beladenen Rollwagen durch eine Lücke zwischen Barriere und Häuserwand, schob ihn die übrigen fünfzig Meter zu einer weiteren Absperrung, deren Kunststoffband er bloß nach oben zu halten brauchte, und gelangte somit an den Rand des Unglücksortes, dort wo er im Schatten lag. Das Bellen der Hunde und die Rufe der Retter gingen im Toben des Winters unter, erst recht die Stimmen des Publikums. Das ferne Licht der Scheinwerfer verursachte einen Glanz, der außerirdisch anmutete. Armbruster fühlte sich wie auf dem Mond. Einem atmosphärenlosen Körper, auf dem es dennoch schneite.
    Für Gefühle und Eindrücke und Widersprüche war freilich keine Zeit. Armbruster sattelte Lyssa über und stieg die ansteigende Fläche hoch. Unter seinen Schritten splitterte Glas.
    Da es verräterisch gewesen wäre, Lyssa einfach irgendwo abzulegen, so, als hätte sie im Moment des Unglücks außen auf dem Dach gesessen, kroch Armbruster unter beträchtlichen Mühen in das völlige Dunkel einer Spalte, die zwischen mehreren, kreuz und quer stehenden Holzbalken klaffte. Es erinnerte an den Eingang in einen teilweise verschütteten Stollen. Und etwas in dieser Art war es ja auch.
    Nach zwei ersten blinden Schritten bemerkte Armbruster – wie man dies mitunter beim Gang ins Meer erlebt –, daß bereits sein nächster Schritt kaum noch Halt finden würde. Offensichtlich führte der Weg steil nach unten. Gleichzeitig spürte er, daß etwas unter seinen Beinen in Bewegung geriet. Augenblicklich warf er Lyssa ab. Ihr Körper fiel, fiel in einen Abgrund.
    Aber auch über sich selbst verlor Armbruster die Kontrolle und rutschte weg. Mit einem Aufschrei kippte er nach vorn ruderte mit den Armen, schlug dabei gegen scharfe Kanten, versuchte sich festzuhalten – umsonst. Armbruster stürzte ab. Und stürzte auf diese Weise hinter Lyssa her. Was sich als ein ziemliches Glück herausstellen sollte. Dadurch nämlich, daß der ohnehin tote Leib Lyssa Hillers nach ein paar Metern als erster auf dem steinernen Grund aufschlug und solcherart die Fläche bildete, auf die wiederum Armbruster aufprallte. Lyssas Körper war die Matte, die Armbrusters Sturz dämpfte, wahrscheinlich lebensrettend dämpfte.
    Weniger vorteilhaft war allerdings der Umstand, daß im Zuge dieser zweifachen Erschütterung die wackelige Zufallskonstruktion des Schachts nicht länger hielt und in sich zusammenbrach. Holz knickte, Mauerteile barsten, Traversen verschoben sich. Armbruster, vom Aufprall nur halb betäubt, fühlte sich wie unter einer startenden Rakete. In seine Atemwege fuhr der Staub löffelweise. Dennoch blieb er soweit bei Bewußtsein, sich vorzustellen, demnächst tot zu sein. Dann, wenn eins dieser Bauteile ihn erschlagen oder durchbohren würde.
    Aber dies sollte nicht geschehen. Irgendein flaches Stück kam genau

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