Ein dickes Fell
empfahl auseinanderzuhalten.
Natürlich hatte er nie vorgehabt, Frau Gemini in sein Geheimnis einzuweihen oder sie gar in seine Mannschaft zu holen. Das wäre ein verrückter Gedanke gewesen, einer solchen Frau einen Mordauftrag zukommen zu lassen. Einer Frau, die täglich in die Kirche ging, jedoch die Messen mied, um – mit Carl die Intimität eines leeren Gotteshauses nutzend – zu ihrem himmlischen Favoriten, dem heiligen Franz von Sales zu beten, dessen Festtag, der vierundzwanzigste Jänner, mit Carls Geburtstag zusammenfiel. Ja, diese Frau sprach Gebete voller Demut, schätzte die Naturverehrung Stifters, die Menschenverehrung Waldmüllers, die Mutterverehrung Amerlings, und war selbst eine liebende Mutter, wie selten eine. Das war keine Frau, der man antrug, für Geld einen Menschen umzubringen.
Sie war es dann selbst, die an einem späten Abend – Smolek war zu Besuch und Carl schlief bereits – das Thema erstmals ins Spiel brachte, indem sie von ihren Schießübungen erzählte und in einer betont humorigen Weise erklärte, von dieser Fähigkeit irgendwann einen Nutzen ziehen zu wollen.
»Wie meinen Sie das?« fragte Smolek. »Was wollen Sie tun? Försterin werden? Legionär?«
»Gibt es denn weibliche Legionäre?«
»Ich weiß nicht.«
»Nun, das ist es auch nicht, woran ich dachte«, sagte Gemini.
»Und woran dachten Sie?«
»An etwas, mit dem man auch wirklich Geld verdienen kann.«
»Haben Sie Geldsorgen?«
»Nur das Übliche. Ich würde es nicht Sorgen, sondern Ansprüche nennen. Jedenfalls könnte ich mir vorstellen …«
»Was?«
Ein paar Sekunden sagte sie nichts, dachte nach, so wie man überlegt, ob es denn ginge, sich nackt oder halbnackt auf den Balkon zu stellen. Mitten am Tag und mitten in der Stadt. Oder ob es nicht besser wäre, einfach im Bett liegenzubleiben.
»Ich habe mich gefragt«, begann sie und fühlte ein Befremden tief in sich, wie man einen Wurm oder Pilz ahnt, »ob das möglich wäre, eine berufsmäßige Killerin zu sein.«
»Jetzt ziehen Sie mich aber auf.«
»Darf man über so etwas Witze machen?«
»Nicht wirklich«, sagte Smolek.
»Eben. Ich meine es ernst. Also … also nein, ich weiß selbst nicht, wie ernst man so etwas meinen kann. Einen Menschen töten für Geld. Dann wieder denke ich, wenn man die richtigen Prinzipien hat, könnte es möglich sein.«
»Was soll das heißen? Nur die Bösen umbringen?«
»Das wäre eine hübsche Variante. Aber wer will sicher sagen können, hier stehen die Bösen und hier nicht? Außerdem spreche ich vom Geldverdienen, nicht von einer Verbesserung der Welt. Die Prinzipien würden allein den Rahmen bestimmen, in dem man handelt, das Berufsethos. Etwa im Unterschied zu einem Geldinstitut, welches sich ja wenig darum kümmert, wer das ist, der da ein Konto eröffnet. Was ich niemand vorwerfe. Das würde zu weit gehen. Der Bäcker kann auch nicht überprüfen, wem er eigentlich sein Brot verkauft. Ein Killer jedoch, wie ich ihn mir vorstelle, muß wissen, für wen er arbeitet und warum er nicht viel eher für den arbeiten sollte, der sein Opfer sein wird.«
»Das hört sich jetzt aber doch nach einer Verbesserung der Welt an.«
»Nun, ein bißchen besser darf sie ja wirklich werden.«
»Was wollen Sie sein? Eine gütige Mörderin?«
»Wie gesagt, ich dachte eher ans Geldverdienen.«
»Und Ihr Gott? Was würde der wohl dazu sagen?«
»Das frage ich mich auch«, sagte Gemini. »Als mir erstmals der Gedanke kam, war ich verwirrt und unglücklich. Wie kann man so was denken? Es ist fürchterlich. Dann wieder fand ich es feige, die Vorstellung zu verdrängen. Abgesehen davon, daß man so einen Gedanken nicht einfach abschütteln kann. Gedanken dieser Kategorie besitzen eine hohe Virulenz. Unmöglich, sich aus der eigenen Krankheit herauszuhalten. Weshalb ich also begonnen habe, den Umgang mit Waffen zu erlernen. Um mal zu sehen, wie es sich anfühlt. Man simuliert, vergißt aber keinen Moment sich vorzustellen, die Zielscheibe sei eine Person. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Ich bin überzeugt, daß der Jäger, der ein Tier schießt, viel lieber einen Menschen schießen würde. Er sieht das Tier, denkt aber an den Menschen. Sein Bezug zur Kreatur ist gleich Null. Für ihn ist das ein bloßer Ersatz, ein legaler Ersatz in Friedenszeiten.«
»Und an wen denken Sie, wenn Sie eine Zielscheibe sehen?«
»An niemand bestimmten. Am ehesten an große, dicke Männer.«
»Was haben Sie gegen die Dicken?«
»Gute Frage.
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