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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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erfährt, wäre das ein zweifacher Schock. Außerdem wird sie bald Fragen stellen, denen ich nicht ausweichen kann.«
    »Alles zu seiner Zeit«, sagte der Nichtvater Cheng.
    »Das ist ein ziemlicher Allgemeinplatz«, meinte Frau Rubinstein und schenkte ihrem Gast Rotwein nach. Dann fügte sie an, als sei es ihr eben erst aufgefallen, daß der »Vorfall« dieses Abends, der Tod Pavors, die Bedeutung einer abgefeuerten Kugel, eine schreckliche Parallele zum Tod von Lenas Vater bilde.
    »Von Parallele kann keine Rede sein«, sagte Cheng, wobei er freilich unterließ, die Mutmaßung auszusprechen, daß der von Lena abgegebene Schuß wenig bis nichts mit einer verirrten Kugel zu tun hätte.
    Cheng versicherte Frau Rubinstein zum wiederholten Male, daß die Polizei in Gestalt von Oberstleutnant Straka die kleine Lena in Frieden lassen werde. Gregor Pavor sei ein Krimineller gewesen, ein Mann, der in widerlicher Weise Frau Kremser in den Tod getrieben habe und dem man wahrscheinlich noch einiges andere würde anlasten können. Kaum anzunehmen, daß jemand auftauchen werde, um Pavor eine Träne nachzuweinen. Auch nicht die Dussek, die froh sein dürfe, wenn sie mit einer Anzeige wegen Tierquälerei davonkomme.
    »Und jetzt lassen wir das«, sagte Cheng. »Sie sollten beginnen, die Sache zu vergessen. Ihrer Tochter zuliebe. Sprengen Sie das Spielfeld in die Luft, auf daß kein Ball oder Virus und keine Erinnerung sich auf dem Boden halten kann.«
    »Sie sprechen gerne in Bildern«, stellte Frau Rubinstein fest.
    »Das verlangt mein Beruf.«
    »Ach was!?«
    »Ein poetischer Beruf«, behauptete Cheng, ohne das aber genau oder auch nur ungenau zu erklären. Statt dessen stellte er die Frage … Nein, er stellte keine Frage, sondern vielmehr das Faktum in den Raum, Frau Rubinstein bloß als Frau Rubinstein und somit ohne ihren Vornamen zu kennen.
    »Und? Ist das ein Problem für Sie?«
    »Kein Problem«, sagte Cheng. »Wenn Sie ihn mir nicht nennen wollen, hat das natürlich auch seinen Reiz. Jemand zu verehren, den man nur mit seinem Nachnamen kennt.«
    »Sie verehren mich?« staunte Frau Rubinstein, wobei ihr Lächeln eher ein Darumwissen als ein Staunen verriet.
    »Verehren klingt natürlich altmodisch«, gestand Cheng. Sodann zögerte er. Was tat er hier? Wollte er allen Ernstes bei dieser Frau, wie man so sagt, landen ? Landen wie auf einem dieser kreisförmig markierten Hubschrauberdecks auf Hochhäusern und Ölplattformen, die man ja tunlichst nicht verfehlen sollte, die Decks. Wollte er sich das antun? Die Peinlichkeit, die entstehen konnte. Ja, die eigentlich schon gegeben war, indem er von »verehren« gesprochen hatte, als befände man sich im vorletzten Jahrhundert. War es da nicht besser, augenblicklich damit aufzuhören, einer Frau schöne Augen zu machen, die ja schöne Augen bereits besaß, in der Art dunkler Scherben, wie einmal gesagt worden war?
    Bevor nun aber Cheng sich entschuldigen, für den Wein danken und aufstehen konnte, erklärte Frau Rubinstein, daß sie am Begriff der Verehrung nichts Anrüchiges finden könne. Im Gegenteil. Und ob etwas altmodisch sei oder nicht … Mein Gott, wer könne schon sagen, ob morgen oder übermorgen nicht jedermann mit Zopfperücken durch die Gegend laufe. Nein, sie halte es für okay, jemand zu verehren. Schwierig wäre nur diese gewisse Dehnbarkeit des Begriffs, die Spannbreite, die sich zwischen dem Platonischen, dem Obsessiven und einem … nun, einem normalen Gefühl der Zuneigung ergebe.
    »Zuneigung!« verkündete Cheng, endlich einmal frei von Überlegungen. »Ich meinte Zuneigung. Darum auch hätte ich gerne Ihren Vornamen erfahren.«
    »Das ist eigentlich der Moment«, fand Rubinstein, »wo ein Mann mit dem Du-Wort anfangen sollte. Und zwar ohne zu fragen.«
    »Na, den Punkt habe ich dann wohl verpaßt.«
    »Ach weißt du«, erledigte Rubinstein das Problem, »Hauptsache, daß die Dinge sich so entwickeln, wie sie angelegt sind.«
    Das war nicht nur einfach so hingesagt. Rubinstein erhob sich von ihrem Sessel, ging ins Schlafzimmer, wo sie die Türe zum Kinderzimmer schloß, kam zurück und nahm sodann mit einer Bewegung, mit welcher Muscheln auf Meeresböden zu sinken pflegen, neben Cheng auf dem Sofa Platz. Cheng erstarrte, seinerseits ebenfalls in der Art eines Meeresbewohners, und zwar eines von den stupiden, die jede Annäherung als Bedrohung interpretieren. Also zwischen Muscheln und Haifischen nicht zu unterscheiden verstehen.
    »Ich fresse dich nicht,

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