Ein dickes Fell
natürlich an. Selbst freie Künstler wie Straka und Lukastik hatten sich an die eine oder andere behördliche Regelung zu halten. Das wird gerne übersehen. Wie sehr nämlich eine noch so individuelle Polizeiarbeit im Schatten der Bürokratie steht.
Gemeinsam traten der Detektiv und der Oberstleutnant aus dem Raum, wo nun die Leute von der Spurensicherung daran gingen, ihre Pflicht zu tun. Einige von ihnen tippten sich bloß noch auf die Stirn, wenn sie Cheng sahen.
Im Angesicht der schreienden Frau Dussek, die von zwei Beamten festgehalten, den ganzen Staat diverser Sauereien verdächtigte, gab Straka ein knappes Zeichen. Frau Dussek wurde fortgebracht. Im Davongetragenwerden drohte sie mit einer Beschwerde bei der Volksanwaltschaft.
»Wenn sie kapiert«, sagte Straka, »daß wir ihr eine Mitwisserschaft anhängen wollen, vielleicht zu Recht, vielleicht zu Unrecht, was soll’s, dann wird sie sich schon beruhigen. Also, mein Lieber, wir sehen uns dann morgen.«
»Ja, bis morgen«, sagte Cheng, begleitete Straka ins zweite Stockwerk hinunter, schüttelte seine Hand und sah ihm nach, wie er hinter einer Ecke des Treppenhauses verschwand. Kurz darauf war das Backofengeräusch einer fauchenden Katze zu hören.
»Sie kümmern sich doch um die Tiere, nicht wahr?« rief Straka nach oben.
»Ich kümmere mich«, sagte Cheng und legte seine Stirn in regelmäßig gestapelte kleine Falten. Wie bei einer naiven Skulptur.
30 Ein Mann liegt auf dem Rücken und freut sich des Lebens
Cheng ließ sich auf der Treppe nieder, und zwar so, daß er die drei Kartäuserkatzen im Auge behalten konnte und gleichzeitig einen Blick hinauf zum zweiten Stockwerk besaß, dort, wo nun die ehemalige Wohnung der Frau Kremser von ermittelnden Polizisten durchsucht wurde. Soeben wurde Gregor Pavors Leiche abtransportiert. Cheng hätte sich nicht einmal erheben müssen, um den Weg freizumachen für den metallenen Sarg, da das Treppenhaus über eine ausreichende Breite verfügte. Viele dieser alten Wiener Wohnhäuser waren in einer Weise konzipiert, daß der Transport von Klavieren und Särgen und riesenhaften Gummibäumen eher ein Vergnügen darstellte, während man sich bei neueren und neuesten Gebäuden fragte, ob überhaupt noch jemand Klaviere und Särge und riesenhafte Gummibäume ins Kalkül zog. Was dachten diese Architekten und diese Bauherren sich? Daß Leute, die zu Hause starben, danach in Stückchen geschnitten wurden? Daß man sie wie einen Kuchen portionierte?
Jedenfalls war Cheng nur aus Achtung vor dem Akt der Beförderung einer Leiche aufgestanden. Somit eher aus Achtung vor den Sargträgern als vor dem Verstorbenen. Was ja übrigens eine schöne österreichische Tradition darstellt. Nicht die Leiche an sich, sondern den Umgang mit der Leiche ins Zentrum zu rücken. Und folglich eine Hochachtung gegenüber jenen Menschen zu entwickeln, die in professioneller Weise mit den lieben Verstorbenen zu tun haben. In keiner anderen Stadt der Welt sind Gerichtsmediziner, Sargträger und Bestattungsunternehmer so sehr respektiert wie in Wien. Das ist mehr als ein Klischee. Es ist die Substanz der Stadt und seiner Bewohner, nämlich weit weniger in den Tod verliebt zu sein, wie fälschlich behauptet wird, als in seine Verbildlichung. Wenn gesagt wird »Einer stirbt und alle beneiden ihn«, klingt das zwar gut, ist aber unrichtig. Die Überlebenden sind hier die Fröhlichen. Nirgends sieht man so viele glückliche Gesichter wie auf Wiener Friedhöfen, was übrigens einen Hinweis auf die zeitweise Authentizität dieses als schwindlerisch verschrienen Menschenschlages darstellt.
Auch die Katzen – welche mit dem unfreiwilligen Fortgang Frau Dusseks augenblicklich und in Zeitraffer zu gesunden schienen – hatten sich erhoben und mit einer synchronen Bewegung ihrer Köpfe den Abtransport Gregor Pavors verfolgt. Es waren schon sehr wienerische Katzen, mit einem Hang zur Pose und zum Kasperltheater. Cheng überlegte, daß die drei Viecher bald wieder über einiges an Macht in diesem Haus verfügen würden. Selbst wenn die alte Dussek zurückkommen sollte, würde es ihr kaum noch gelingen, ungestraft was auch immer zu unternehmen. Es war jetzt wieder der Geist der Frau Kremser, der in diesem Haus herrschte.
»Was ist mit Ihnen?« vernahm Cheng über sich die Stimme Frau Rubinsteins. »Weshalb sitzen Sie hier draußen?«
Die Frau mit jenem leicht dunklen Teint, der in erster Linie den genealogisch bedingten Vorrang von schönem vor
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