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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Anbeginn der Zeit füreinander bestimmt waren, bedurften keiner Zeremonie. Etwa im Unterschied zu Leuten, die heiraten, und die ja nie und nimmer füreinander bestimmt sind, schon gar nicht bei Anbeginn der Zeit. Geheiratet wird immer der Falsche. Das ist ein Gesetz. Und die Zeremonie bestätigt den Fehler.
     
    Gegen Mittag betrat Markus Cheng den Vorraum zu Oberstleutnant Strakas Büro. Eine Sekretärin bat ihn zu warten, schenkte ihm Kaffee ein und verließ in der Folge den Raum, sodaß Cheng nun alleine war. Die Stimme Strakas und die eines anderen Mannes tönten als ein fernes Getröpfel. Cheng sah sich um. Es war ein altes Büro, wie man sie heutzutage nur mehr selten zu sehen bekam, zwar durchsetzt mit neuen Geräten, flachen Bildschirmen, mit einer Telefonanlage, die den Eindruck machte, man könnte damit Atombomben steuern, einem Kopierer von der Art eines Soldatenhelms aus Star Wars sowie einem Diktiergerät, das als Lippenstift durchgegangen wäre, aber bereits die Kaffeemaschine erinnerte an die alte Zeit. Eine von diesen dampfenden, stöhnenden und röchelnden Apparaturen, die ein noch so magenfreundliches Kaffeepulver in eine gastritische Lauge verwandelten. Und es nie nach Kaffee, immer nur nach verbrannten Vorhängen roch. Dazu eine ausgebleichte Stadtkarte, auf der Wien den bizarren Reiz einer sinnlos gewordenen, zwanzig Jahre alten XY…ungelöst-Sendung besaß. Die Rolladenschränke mit ihrer schmutziggelben Farbe erinnerten an monströse, aufrecht dastehende Nikotinfinger. Tische und Stühle waren von der gleichen Art, Däumlinge. Besonders deutlich fiel die Rückständigkeit dieses Büroraums dadurch aus, daß es sich bei der üblichen Fotografie an der Wand, die den Bundespräsidenten zu zeigen hatte, eben nicht um den aktuellen, sondern um einen seiner Vorgänger handelte, und zwar jenen Herrn Kirchschläger, der das Land von 1974 bis 1986 in dieser höchsten Position vertreten hatte.
    Cheng überlegte, daß man in diesem Büro, damals, im Jahre sechsundachtzig, möglicherweise ein Zeichen hatte setzen wollen, als Rudolf Kirchschläger sein Amt an Kurt Waldheim übergeben hatte, jenen vergnügten, leichtfüßigen Karrieristen, der alles in seinem Leben mit der Nonchalance eines leutseligen Militärs absolviert hatte, die Nazizeit, das UN-Theater, jegliches Welttheater, jegliche Weltkomödie, und eben auch die österreichische Landeskomödie in Form einer Bundespräsidentenwahl. Niemand hatte Waldheim damals geglaubt, daß er sich an die Details seines Einsatzes als Wehrmachtsoffizier in Griechenland nicht mehr erinnern könne, seine Anhänger und seine Gegner nicht. Dabei war genau das die Wahrheit gewesen, und, wenn man so will, der eigentliche Skandal, die tatsächliche und umfangreiche Vergeßlichkeit dieses Menschen, seine gewisse Unschuld in bezug auf das eigene Gehirn. Ganz Österreich erlebte einen unbedarften, ausgehöhlten Menschen, sah aber nur das verlogene Monster oder den aufrechten Helden. Dabei bestand dieser Mann einzig und allein aus seinen dünnen Lippen. Beziehungsweise aus seiner Ehefrau, in der er, der Mann und Politiker, steckte, so wie eine einzelne Blume in einer Vase steckt, von ihr gehalten wird, und von nichts anderem. Was Herrn Waldheim für nicht wenige Wählerinnen attraktiv machte, dieses In-der-eigenen-Frau-feststecken, während natürlich aufgeklärte Menschen sich auch davon noch abgestoßen fühlten.
    Letztere waren es dann auch, die Zeichen des Nichtakzeptierenwollens eines solchen Präsidenten setzten. Und etwas Derartiges mußte sich auch in diesem Büro hier zugetragen haben, wohl unter Strakas Vorgänger, von Straka jedoch fortgesetzt. Freilich erschien ein solches Aufbegehren an einem beamteten Ort eigentlich undenkbar. Davon abgesehen war die Präsidentschaft Kurt Waldheims ja längst Geschichte, schon gar nicht mehr wahr, der Vergeßliche selbst vergessen. Es gab keinen guten Grund, warum nicht der aktuelle Präsident von der Wand lächelte. Denn eines kam ja überhaupt nicht in Frage: daß nämlich eine Begeisterung für Rudolf Kirchschläger vorlag. Dieser Mann, so untadelig er vielleicht gewesen war, hatte den personifizierten Ausdruck eines Gegenstands verkörpert, welcher absolut gar nichts hervorzurufen imstande ist, kein Gefühl, keine Meinung, keine Zuneigung und keine Ablehnung, gar nichts. Nicht einmal Kirchschlägers Gesicht an sich – Cheng konnte es ja gerade betrachten – war geeignet gewesen, einen Betrachter zu einer Stellungnahme zu

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