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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Straka.
    »Handschriftliches«, antwortete Cheng. »Wittgensteinbriefe und Hamsunnotate. Aber das ist nicht das Thema, nicht unser Thema.«
    »Welcher wäre?«
    »Die Frau, die Wittgenstein übergibt und Hamsun übernimmt, die ist unser Punkt. Die Präsidentin der Norwegischen Literaturgesellschaft, Frau Gude.«
    »Wie? Dieselbe Frau Gude …?«
    »Genau die«, sagte Cheng, »aber darauf hätten Sie eigentlich auch selbst kommen müssen. Das ist schließlich keine Geheimveranstaltung.«
    »Ich kann mich nicht um alles kümmern.«
    »Klatsch und Kultur sollte man nie vernachlässigen«, empfahl Cheng und studierte erneut die beiden Leichname. Dabei fragte er Straka, ob er nicht vorhabe, daß Gebäude nach einer Tatwaffe oder gar nach dem Täter absuchen zu lassen. Allzu lange könne das Verbrechen ja nicht zurückliegen.
    »Das nicht«, sagte Straka, »aber Sie sehen ja selbst, daß hier kein Laie am Werk war. Natürlich werde ich suchen lassen. Aber was können wir schon finden? Wir finden selten etwas. Beziehungsweise finden wir viel zuviel, um uns ein vernünftiges Bild machen zu können. Die moderne Spurensicherung ist wie das Internet. Eine gewaltige Masse chaotisch verteilter Informationen. Mit dem Material, das einem die Spurensicherung liefert, könnte man dreißig Leute überführen. Man braucht in der Regel aber nur einen einzigen. Das ist die Schwierigkeit heutzutage. Ich könnte ganz Österreich festnehmen lassen. Aber was nützt mir das?«
    Straka beschwerte sich – und er beschwerte sich zu Recht –, daß man im Fernsehen so tue, als würde die moderne Forensik einen jeden Täter an Hand seines Strickpullovers ermitteln können. Schön wär’s! In Wirklichkeit aber würden sich die wenigsten Kriminellen noch darum kümmern, ob sie Spuren hinterließen oder nicht. Diese Leute hätten nämlich begriffen, daß so gut wie alles im Wust unzähliger Partikel und Kleinstteilchen unterging. Im Spurensalat.
    »Ich müßte schon Nobelpreisträger sein«, sagte Straka, »um aus den Untersuchungsberichten einen wirklichen Nutzen zu ziehen.«
    »Klingt deprimierend.«
    »Das ist es. Aber die Arbeit muß natürlich trotzdem getan werden.«
    Und das wurde sie auch. Chefinspektor Bischof erschien mit einem Teil der Mannschaft. Unter ihnen auch ein junger Arzt, der sich als erster an den Leichen zu schaffen machte und überaus versiert über die sichtbaren tödlichen Verletzungen referierte. Daß er statt Stirnbein Os frontale sagte, klang sehr viel freundlicher und erhabener, geradeso, als hätte die Menschheit das Schicksal ihrer Knochen fest im Griff. Wie wenig das leider der Fall war, dafür zeugten Herr Thanhouser und Frau Seeliger.
    Der Arzt sprach von der wahrscheinlichen Projektilart und davon, daß Fundort und Tatort übereinstimmten. Er vermutete, daß das männliche Opfer in einem Abstand von drei Metern, die Frau in einem kürzeren erschossen worden war und bestätigte, daß die Parallelität der Eintrittstellen erstaunlich sei. Auch er verwendete das Wort »Maßband«. Das Wort drängte sich auf.
    Im übrigen stellte der Arzt fest – und tat dies auf eine amüsiert beiläufige Art –, daß es sich bei der Frau um keine Frau handeln würde.
    »Wie meinen Sie das?« fragte Straka.
    »Sehen Sie selbst«, empfahl der Mediziner und wies auf den nun entblößten Unterleib Seeligers. »Das ist ja wohl ein Penis, nicht wahr?«
    »Ja, sieht so aus«, meinte Straka und wandte sich ratsuchend an Cheng: »Sagten Sie nicht, daß diese Person auf der Frauenabteilung lag?«
    »Natürlich. Neben Mascha Reti. Darum ging’s ja schließlich.«
    Der Arzt driftete ein Stück zur Seite, während Straka und Cheng näher an Seeliger herantraten, um dessen Gesicht unter dem Eindruck eines männlichen Geschlechtsorgans zu studieren. Nun, es war das Gesicht eines recht alten Menschen, dessen Haut in einem Gewitter von Runzeln steckte. Es war nicht explizit männlich oder weiblich zu nennen, ganz im Gegensatz zur Damenfrisur darüber und dem femininen Halsschmuck darunter. Sowie natürlich dem geblümten Kleidchen. Und erst recht dem kleinen Büstenhalter, in dem freilich kein Busen einsaß.
    Es sollte sich in der Folge herausstellen, daß Franzi Seeliger in Wirklichkeit ein Franz Seeliger gewesen war, welcher in der Zeit vor und nach dem Zweiten Weltkrieg unter einem anderen, mondäneren Namen als Revuestar aufgetreten war. Nie als Transvestit, sondern stets als perfekte Frau, offensichtlich mit einer Stimme ausgestattet, die

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