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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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den Verdacht eines männlichen Kehlkopfes niemals hatte aufkommen lassen. Auch war Herr Seeliger einigermaßen zierlich gewesen. Der Rest ergab sich aus Tarnung und Anpassung. Fähigkeiten, die Herr Seeliger, nachdem er mit zunehmenden Alter in Vergessenheit und völlige Armut geraten war, eingesetzt hatte, um bei seiner Aufnahme in das Liesinger Pflegeheim statt in die Männerabteilung in die der Damen zu gelangen. Wobei Herr Seeliger sich zu keiner Zeit als Transsexueller empfunden hatte. Immer nur als Revuestar, und später eben als ein vergessener Revuestar. Seine Entscheidung für die Damenabteilung war eine ästhetische gewesen.
    Es muß freilich gesagt werden, daß von seiten der Behörde eine korrekte Einweisung zu den Männern vorgelegen hatte. Doch Franz Seeliger war ganz einfach als die Frau aufgetreten, die er sein ganzes Leben lang gewesen war. Und weil er bei seiner Ankunft im Geriatrischen Zentrum Liesing hundertprozentig überzeugend gewirkt hatte, nämlich hundertprozentig weiblich, und eine beschämende Visitation nicht Sache des zuständigen Arztes gewesen war, war man von einem Fehler der Bürokratie ausgegangen, welche bekanntermaßen bei der Zuordnung der Geschlechter gerne schludert.
    Da nun Franz Seeliger im Gegensatz zu seiner Bettnachbarin Mascha Reti über die Jahre mobil und selbständig blieb, war es ihm gelungen, sein kleines Geheimnis verborgen zu halten. Ein angenehmer Patient, zwar energisch und bestimmt, aber dennoch pflegeleicht. Alt, mittellos und spleenig (in seiner Matratze fand man ein kleines Vermögen in Hundertschillingscheinen), jedoch vorbildlich in Fragen der Hygiene. Und vor allem war er natürlich darauf bedacht gewesen, jenen ärztlichen Untersuchungen zu entgehen, die eine völlige Nacktheit mit sich gebracht hätten. Bei einem derart gesunden Menschen kein Problem. Es hatte nie Anlaß gegeben, ihm den Büstenhalter abzunehmen oder sich für seinen Unterleib zu interessieren. Baden konnte er alleine und bestand darauf. So einfach. Mit Schlamperei hatte das rein gar nichts zu tun. Wäre Franz Seeliger nicht erschossen worden, wäre er – von keinem Personal behindert oder traktiert – nicht bloß alt, sondern uralt geworden. Als die Frau, die er war.
    »Also, ich glaube nicht, daß uns das zu beschäftigen braucht«, meinte Cheng bezüglich der geschlechtlichen Enttarnung des Herrn Seeligers. »Darum hat er nicht sterben müssen.«
    »Woher wollen Sie das wissen?« mischte sich der Arzt ein.
    Cheng ignorierte ihn. Er mochte diesen Jungen nicht. Es ging ihm dabei wie mit den neuen Häusern in Wien, die er nicht leiden konnte. Er konnte auch die neuen Gesichter nicht leiden.
    Mit einer ausschließenden Geste richtete er sich an Straka: »Ich denke, Seeliger wollte abkassieren. Hundertschillingscheine abkassieren. Er wußte über die Schwester Mascha Retis Bescheid und daß Thanhouser in ihren Diensten stand. Vielleicht hat er sich, gleich nachdem ich weg war, an Thanhouser gewandt. Vielleicht haben die zwei zusammengearbeitet, bei der Schwester Mascha Retis angerufen und ihr gedroht. Mit der Polizei gedroht. So unbeliebt die Polizei auch ist, wird gerne mit ihr gedroht.«
    Jetzt war es wieder Straka, der die toten Körper nachdenklich betrachtete. Er sagte: »Strenge Strafe für ein bißchen Drohung.«
    »Mein Gott, die zwei wurden in einem Aufwasch erledigt. Vielleicht auch nur der Sicherheit halber. Um keine Brösel zu machen.«
    »Brösel?«
    »Wenn einer umgebracht wird und einer nicht, entstehen Brösel, so aber …«
    »Denken Sie wirklich, die Frau hat die beiden erschossen?« zeigte sich Straka skeptisch. Gleichzeitig gab er Cheng zu verstehen, daß es besser sei, sich draußen zu unterhalten. Und nicht unbedingt in Gegenwart des jungen Arztes.
    Cheng nickte. Man wechselte in den Gang.
    »Kaum anzunehmen«, sagte Cheng sodann, »daß Retis Schwester das selbst erledigt hat. Sie mag ja rüstig sein. Aber da gibt es Grenzen. Nein, ich glaube in der Zwischenzeit, daß eine ganze Menge Leute für diese Dame arbeiten oder bis vor kurzem gearbeitet haben. Gregor Pavor und unser Herr Thanhouser auf jeden Fall. Vielleicht auch Anna Gemini und Kurt Smolek. Ich stelle mir diese Person als ein Imperium vor. Kein augenfälliges. Ein subtiles Imperium, vielleicht sogar eines ohne Sinn.«
    »Viel Zeit war aber nicht«, gab Straka zu bedenken, »jemand zu beauftragen, die beiden hier zu töten.«
    Cheng sah auf die Uhr und meinte, daß wenn man annehme, Seeliger habe sich

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