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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Nicht, wenn man ein Gewehr in der Hand hält. Man würde schließlich auch nicht auf die Idee kommen, mit Delphinen um die Wette zu schwimmen.« Da hatte er wohl recht. Aber wie meistens, wenn er recht hatte, hielt er sich nicht daran. Darum der Feldstecher.
    Mir wurde bald klar, daß ich das Gesicht des Läufers kannte. Wer nicht? Der Mann war eine Berühmtheit. Ein Geist der Zeit. Ein junger Schriftsteller als wilder Hund. Ein wilder Hund als Bestsellerautor, dem man die größtmögliche Zukunft voraussagte. So ein hübscher Kerl mit langem, glattem Haar von der Farbe eines Rehkitzes sowie dem Gesicht eines verrotteten Erzengels. Ein Erzengel mit Zigarette, was ja heutzutage anmutet, als würde jemand einen Knochensplitter seines amputierten Raucherbeins im Mund spazierenführen. Gut, die Kippe gehörte zur Show, wie auch das Gerücht, dieser hochtalentierte, unglaublich witzige und unglaublich sprachgewandte Autor würde ein paar Mädchen auf den Strich schicken. Nicht auf einen legalen Strich, natürlich nicht. Wobei der Sinn einer Show ja weder darin besteht, die Wirklichkeit widerzuspiegeln, noch sie zu konterkarieren, sondern sie zu verheimlichen. Ein Verbrechen zu verdecken. Die Show, im wörtlichen wie übertragenen Sinn, betont die nie begangenen Verbrechen, um solcherart die tatsächlich erfolgten zu überschatten. Selbstverständlich war mir der Name dieses Autors präsent, welcher nicht nur als ein Zuhälter, sondern vor allem als ein Popstar galt. Beziehungsweise handelte es sich um ein Pseudonym: Sam Soluschka.
    Soluschka ist russisch und heißt Aschenbrödel.
    Nun, wenn der gute Sam ein Aschenbrödel war, dann eines, das bereits zu seinem Prinzen gefunden hatte. Der Prinz in Sam Soluschkas Leben war die Gesellschaft, waren die Leser seiner Bücher wie die Leser all der Berichte über sein Leben, seine literarischen Höhenflüge, seine dramatischen Verfehlungen, seine Prozesse gegen Leute, die er beleidigt hatte, seine Liebschaften, seinen Hund Differ, seine Schlange Brando, und daß der Hund die Schlange gefressen hatte. Auch wenn es de facto umgekehrt gewesen war. Aber wie gesagt, das ist ja der Zweck einer Show: ein erfundenes Verbrechen anstelle eines wirklichen.
    Das mit dem Hund erfuhr ich freilich erst später. Dummerweise wohnte Sam Soluschka im letzten Stockwerk, sodaß ich ihn in seiner Wohnung nur dann beobachten konnte, wenn er direkt am Fenster stand oder sich auf einem der metallenen Balkone aufhielt. Auch er zumeist mit einem Handy am Ohr. Nie aber mit Zigarette.
    Auf Grund des ungünstigen Winkels konnte ich also auch nicht sagen, wie es in seiner Wohnung aussah. Welche Möbel, welche Menschen. Andere Gesichter tauchten selten an den beiden langgestreckten Fensterfronten auf. Hin und wieder eine ältere Frau. Eher seine Mutter oder Managerin als seine Freundin. Sam galt als bi, als ein Macho, ein Neutrum, ein unschuldiges Kind, als ein Ungetüm. Heute weiß ich, letzteres stimmt.
    Irgendwann fing ich an – Hamsuns müde – genauer hinzusehen. Nicht nur, weil das ja ein ausgesprochen hübscher Bursche war. Da war noch etwas anderes. Mir fiel auf, daß Sam, der das Gebäude über einen seitlichen Ausgang verließ, von diesem Ausgang aus stets die für mich uneinsehbare Rückseite aufsuchte, einige Sekunden dort verblieb, und dann erst hinaus auf die Straße ging, um seinen Lauf zu beginnen. Genau auf diese Rückseite begab er sich auch, wenn er von seinem Training zurückkam. Welches nie länger als fünfzig Minuten dauerte. Ich war bald überzeugt, daß Sam seinen Schlüsselbund im rückwärtigen Teil des Gebäudes deponierte, dort, wo auch die Tonnen herumstanden, welche die Müllabfuhr über den unversperrten Weg abholte und geleert zurückschob.
    Ich war nun soweit genesen, daß ich erste Spaziergänge unternehmen konnte. Nicht, daß ich ernsthaft daran dachte, mich dort drüben umzusehen. Etwa in einer Hecke oder einem Blumentopf nach einem Schlüssel zu wühlen. Unter Eimer und Abdeckungen zu spähen.
    Nun, das war auch gar nicht nötig. Der Bund lag unverdeckt in der bodennahen Ecke eines Kellerfensters. Natürlich tat ich zunächst einmal nichts, was sich nicht gehörte. Ich stellte einfach fest, daß meine Vermutung stimmte, ließ den Schlüsselbund, wo er war, und kehrte zurück in meine Wohnung.
    Da war nun aber ein Reiz, der etwas von einem Schalk hatte, der mir im Nacken saß. Ein Schalk, der sich verkrallte. Und solcherart Schmerzen verursachte, wobei es natürlich solche

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