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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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und solche Schmerzen gibt. Diese waren eher von der erquicklichen Art. Mich trieb der Gedanke, mir auf problemlose Weise Zugang zu einer fremden Wohnung zu verschaffen.
    Aber wozu denn? Was wollte ich dort oben tun? Dinge anfassen, die mir nicht gehörten? Nachsehen, ob dieses Paradegenie in einem genialischen Chaos, in großer Ordnung oder verborgener Spießigkeit hauste? Ob er Badenten und Plüschtiere besaß oder das übliche Kunstzeug von der Wand hing?
    Eines freilich brauchte nicht überprüft werden. Nämlich das Faktum, daß niemand sich in der Wohnung aufhielt, wenn Sam Soluschka sie verließ. Er hätte sonst kaum seine Schlüssel, die ihn beim Laufen wohl störten, hinter dem Haus ablegen müssen. Ein Haus, das selbstverständlich über eine Gegensprechanlage verfügte. Nein, in diesem Punkt war keine Gefahr zu erwarten. Und genau das dürfte es gewesen sein, was mich derart animierte. Die Sicherheit, in der ich mich wiegen konnte. Eine Fünfzig-Minuten-Sicherheit. Was kein Grund ist, aber doch ein wenig ein Anlaß. Wenn man bedenkt, wie wenig Sicherheit einem das Leben an sich bietet.
    Übrigens war mir völlig entgangen, in einem Magazin gelesen zu haben, Sam Soluschka besitze einen Hund namens Differ, welcher eine Schlange namens Brando gefressen habe. Es fiel mir erst wieder ein, als ich dabei war, die Türe im obersten Stockwerk des Lofthauses zu öffnen. Quasi mit dem Eintreten in den Flur, ging mir schlagartig diese blödsinnige Tiergeschichte auf, sodaß ich ebenso schlagartig die Hände anhob, um einen vielleicht demnächst herbeistürzenden Köter abzuwehren oder wenigstens mein Gesicht vor dessen Zähnen zu schützen. Aber natürlich gibt es solche und solche Hunde. Nicht alle fletschen ihr Gebiß. Und es gibt sogar welche, die längst von einer Schlange verspeist wurden. Wie im Falle Differs.
    Niemand sprang also heran. Die Schlange, an die ich nun erst recht nicht dachte, würde mir erst später begegnen. Was aber sogleich auffiel, war die große Sauberkeit, die hier vorherrschte. Und daß im langgezogenen Flur Licht brannte. Einzig und allein Licht, welches aus einer gleichmäßigen Reihe von Deckenöffnungen strömte und auf dem Grätenmuster des rotblonden Parkettbodens kleine Sternhaufen bildete. Ansonsten war der Raum leer. Keine Bilder, kein Schmuck, keine Garderobe, nichts. Schön leer.
    Und dieser Schön-leer-Stil blieb auch erhalten. Nachdem ich um eine kurze Ecke gebogen war, entließ mich der Gang in einen weiten Hauptraum, der primär aus Tageslicht bestand.
    Freilich, ein bißchen was an Möbeln stand schon herum, ein bißchen was an Kunst und an technischen Geräten. Eher salopp hingeworfen, als mit Absicht aufgestellt. Der flache Bildschirm wirkte wie an die Wand geklatscht, das überlange Sofa erinnerte an ein Ding, das vom Himmel gefallen war, ein David Bowie von Sofa. Ein paar großformartige, schwarzweiße, abstrakte Gemälde, die aussahen wie die frühen Beatles, standen an die Wand gelehnt. Alles sehr zufällig und lieblos, darin aber perfekt, perfekt lieblos und perfekt zufällig.
    Hier stand ich also, mitten im kompakten Tageslicht und sah kurz auf die Uhr, das Überschreiten der ersten viertel Stunde registrierend. Erneut fragte ich mich, was ich an diesem Ort zu suchen hatte. Wozu das gut war. Und welche Folgen es haben würde, wenn man mich entdeckte. Aber irgendwie begriff ich, daß ich gelenkt wurde. Von Gott vielleicht. Vielleicht von Geistern. Vielleicht von meinem Instinkt, der einem höheren Auftrag verpflichtet war. Klingt komisch, erklärt aber viel. Erklärt auch das Unbehagen, welches über das Faktum meiner ungesetzlichen Handlung hinausging. Weit hinausging. Ich ahnte ja, daß ich nicht gekommen war, um die Fülle an Tageslicht zu bewundern.
    Neben dem Zugang zum Flur befanden sich rechter Hand, im Abstand gleich großer Zimmer, drei Türen. Zusammengesetzt aus senkrechten Streifen von hellem Holz und dickem, bräunlichem Glasstein. Die Anordnung der Türen hatte etwas von einem Spiel, einem Hütchenspiel, bei dem man zweimal falsch und einmal richtig lag.
    Freilich gehört es zu einem Hütchenspiel, daß sich die Hütchen anheben und bewegen lassen. Was hier jedoch bloß für zwei der Türen galt, welche beide in fensterlose Räume führten. Einmal in ein Schlafzimmer mit tempelartig erhöhtem Bett und glattgestrichenen Laken und Kissen, alles rostrot, bis hin zum Radio. Sodann, eine Tür weiter, ins Badezimmer, in ein Ding aus schwarzem Granit, in dem es

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