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Ein dickes Fell

Titel: Ein dickes Fell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
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Rotblond aufwies wie das Parkett des Flurs. Der gebündelte Lichtstrahl erreichte jedoch nicht den Boden, sondern fiel auf einen Glaskubus, welcher auf einem Podest von dem gleichen Holz aufsaß. Was ungemein edel aussah. Und ausgezeichnet zu einem unter dem Glassturz ausgestellten Schmuckstück gepaßt hätte, einer alten Vase, einer Erstausgabe oder dem verbürgten Schreibgerät eines Dichterfürsten. Zu etwas Gebrauchtem also, nur eben von der noblen Art. Und einen Moment lang dachte ich auch, irgendeine hochkarätige Altware zu erkennen, eine gläserne Scherbe, das Bruchstück eines Gefäßes.
    Um ein Gefäß handelte es sich ja auch. Freilich um ein vollständig erhalten gebliebenes, wie ich jetzt feststellte. Nur der geringen Größe wegen hatte ich kurz den Eindruck des Fragmentarischen gehabt. Auch konnte von einer Altware nicht die Rede sein, zumindest nicht im üblichen Sinn.
    Mir war jedoch die Vorstellung, daß unter einem Glassturz sich in der Regel eine Antiquität befinden müsse, derart eingebrannt, daß ich zunächst davon ausging, es handle sich bei dem Objekt um ein historisches Flakon von Kölnisch Wasser der Marke 4711. Das war aber nicht der Fall. Denn soviel Ahnung von derartigen Dingen besaß ich schon, um wenigstens beim zweiten Blick zu erkennen, daß dieses Fläschchen nicht wirklich alt war. Hier stand bloß ein kleines Behältnis mit der bekannten geschwungenen Aufschrift, wie man es in jedem x-beliebigen Drogeriemarkt erstehen konnte. Und es war beim besten Willen nichts festzustellen, was die spezielle, museale Behandlung dieser kleinen Rollflasche rechtfertigte. Das Ding mochte ein paar Euro wert sein, auch war es bis oben hin gefüllt, was den Eindruck einer jüngst im Supermarkt erstandenen Ware nur noch verstärkte. An diesem Gegenstand war absolut nichts Mysteriöses, wäre es nicht an diesem Ort und auf diese Weise präsentiert worden. Oder besser gesagt versteckt worden. Denn unser Hiersein, unsere Betrachtung war ja keineswegs gewollt. Wir befanden uns schließlich in einem höchst privaten Raum, inmitten einer höchst privaten Inszenierung. Und fragten uns, wozu das gut sein sollte.
    Ludvig Dalgard verzog das Gesicht, als beiße er auf ein Stück Rinde. Oder den Käfer auf der Rinde. Dazu entließ er ein verächtliches Geräusch. Dann sagte er: »Eine verdammte Kindergeschichte.«
    »Wie meinen Sie das?« fragte ich.
    »Der Kerl leidet wahrscheinlich unter einem Mutterkomplex. Oder eher noch unter einem Großmutterkomplex. Das ist ein deutsches Parfum, nicht wahr? Eines, wie die Leute es früher geliebt haben.«
    »Es wird noch immer verkauft«, erinnerte ich.
    »Natürlich. Aber man muß doch wohl ein wenig betagt sein, um so was geschenkt zu bekommen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte ich. »Vielleicht ändert sich das gerade. Wir leben in einer Kultur der Renaissancen, der Coverversionen.«
    »Das ist keine Coverversion«, sagte Dalgard, »sondern eine originale Krankheit.«
    »Was? Das Fläschchen 4711?«
    »Nein. Daß der Typ, der hier wohnt, sich einen Altar baut. Das ist krank. Aber natürlich nicht schlimm. Es gibt Abartigeres, denke ich, als auf solche Weise einem frühen Inzest zu huldigen. Oder der guten, alten Zeit, dem Geruch von Nelken.«
    »Wieso Nelken?«
    »Na, wonach das Zeug eben duftet«, meinte Dalgard.
    »Lavendel, glaube ich.« Aber ich wußte es nicht wirklich. Eher war es so, daß für mich beinahe alle alten Gerüche jene Aufdringlichkeit von Lavendel besaßen. Den Hang zum Violetten und damit zum Schwülstigen, zum gleichzeitig Öligen und Samtigen. Ein Violett auf dem Weg zum Rosa. Oder vom Rosa herkommend. Gerüche wie Nebel, der schwindsüchtig macht. Parfum als Gift, als ein schleichendes, mit dem sich Generationen unglücklicher Frauen langsam um den Verstand gebracht hatten. Weil ohne Verstand ein paar Dinge sehr viel besser auszuhalten waren. Und dann waren diese Herren mit ihren Zwiebelbärten und Stutzbärten und Kaiserbärten dahergekommen und hatten gemeint, ihre Frauen wären verrückt geworden. Mein Gott, wie richtig.
    »Was machen wir jetzt?« fragte Dalgard.
    Ich antwortete ihm, daß ich mir das Fläschchen gerne näher ansehen wolle.
    Dalgard schenkte mir diesen typischen Männerblick, als betrachte er einen sprechenden Weihnachtsbaum. Ein intelligentes Geschöpf, keine Frage, aber eben ein Weihnachtsbaum. Dalgard sagte: »Es ist ein 4711-Fläschchen, nicht mehr. Sie kennen ja sicher diesen Ausspruch von Sigmund Freud, daß eine Zigarre

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